Die Fotografin
Sekretärin allmählich an die Nerven ging. Elisabeth, die früher immer auf gute Freundschaft machte – von Frau zu Frau –, hatte mit fliegenden Fahnen die Seite gewechselt. Mit sicherem Gefühl für die Macht. Und Angelika Kämpfer war schließlich auch eine Frau.
»Ist Manfred…«
»Eben war er noch in seinem Zimmer«, flötete Elisabeth. »Ich geh mal nachschauen.« Diesmal legte sie den Hörer nicht neben das Telefon. Diesmal legte sie auf.
Karen schloß die Augen und hörte sich tief ein und wieder ausatmen. Ruhig, redete sie sich zu. Ganz ruhig. Als sie die Augen wieder öffnete und zur Kaffeetasse auf dem Nachtschränkchen griff, merkte sie, wie ihre Hand zitterte. Niemand vermag eine Frau so perfekt zu demütigen wie eine andere Frau. Du hast mir gar nichts mehr zu sagen, signalisierte Elisabeth ihr überdeutlich. Es war zu befürchten, daß sie recht behielt.
Nach zehn Minuten nahm Karen ihren ganzen Trotz zusammen und rief erneut an. »Bevor wir so rüde unterbrochen wurden…«, begann sie, in der Hoffnung, Elisabeth mit deren eigenen Waffen schlagen zu können.
»Moment, ich verbinde.« Karen hatte erwartet, gleich wieder aus der Leitung katapultiert zu werden. Aber tatsächlich meldete sich Manfred Wenzel.
»Karen, es tut mir leid, aber…«
»Ich weiß, du hast alle Hände voll zu tun.«
»Natürlich, du kennst das ja, aber…«
»Weißt du, daß Elisabeth mich auflaufen läßt? Seit eineinhalb Stunden schon?«
»Karen, ich…«
Auch du, Brutus. Karen spürte, wie ihr flau wurde im Magen. So standen die Dinge also.
»Manfred, ich verlange doch nichts Unsittliches!«
»Du hast hier nicht nur Freunde, Karen.« Er hatte seine Stimme konspirativ gesenkt. »Moment – ich mach mal schnell die Tür zu.«
Natürlich nicht. Wer hatte das schon. Trotzdem tat die Bemerkung weh.
»Du seist rechthaberisch und profilsüchtig, heißt es. Du verschwendest deine Zeit mit aussichtslosen Fällen, während die anderen die Routinesachen mitzuerledigen hätten…«
Karen holte tief Luft. »Das ist ja wohl…«
»Ich erzähle dir nur, was hier die Runde macht.« Manfred Wenzel klang nicht richtig empört über die Botschaft, zu deren Überbringer er sich machte. Das wunderte Karen nicht. Es wunderte sie höchstens, daß es sie schmerzte.
Manfred Wenzel und sie hatten sich gestritten, seit er nach Frankfurt berufen worden war. Er kritisierte ihre Impulsivität und das, was er spöttisch ihre »Intuition« nannte, sie fand ihn knöchern und phantasielos. Erst der Fall Bunge hatte sie einander nähergebracht – selbst Wenzel entpuppte sich als Mensch aus Fleisch und Blut. Aber nur sentimentale Weiber schlossen daraus gleich auf Freundschaft.
»Bist du neuerdings auf der Seite derjenigen, die möglichst nicht behelligt werden wollen von dem, was man Gewissen nennt?« hätte sie ihn am liebsten gefragt.
Karen atmete noch einmal tief ein. Es hatte keinen Sinn, sich mit ihm zu streiten. Sie brauchte ihn. Und wenn er im guten nicht wollte, würde sie ihn daran erinnern müssen, daß er ihr für ihr Schweigen in Sachen Bunge noch einen Gefallen schuldete.
»Manfred, du wolltest bei Steiner nachhaken, was es mit den in der Sache Eva Rauch und hier in Beaulieu gefundenen Waffen auf sich hat. Gerade ist übrigens ein weiteres Exemplar aufgetaucht, das zu den 1978 geklauten Waffen passen würde – neben einem Ex-Terroristen namens Martin Schmid, der seit Jahren unerkannt im französischen Exil lebte.« Und einen Reisepaß besaß, der nicht nach Fälschung aussah, hätte sie beinahe hinzugefügt. »Möglich immerhin, daß jemand aus der Terrorszene Rache an einem Aussteiger genommen hat. Vielleicht sollte man auch Eva Rauch in Hinblick auf eine einschlägige Vergangenheit noch einmal überprüfen.«
Sie sah Wenzel am Schreibtisch sitzen, wie immer im grauen Anzug, weit zurückgelehnt, die Augen auf das Stückchen blauen Himmels gerichtet, das man durch das Oberlicht des Fensters sehen konnte. Dann hörte sie ihn seufzen, tausend Kilometer entfernt in seinem Hamsterställchen in der Frankfurter Staatsanwaltschaft.
»Der Fall Eva Rauch ist von Kollegin Kämpfer eingestellt worden, Karen. Daran sollte man besser nicht rühren.«
Jetzt war sie es, die seufzte. »Dann frag wenigstens Steiner, ja?«
»Karen, ich verspreche es. Ich kümmere mich drum, o. k.?«
»Bis wann?«
»Bis…« Wenzel schien in irgend etwas zu blättern. Doch nicht etwa in seinem Terminkalender! Karen merkte, wie ihr die Hitze ins Gesicht
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