Die Fotografin
lagen, sie in die Luft geworfen und wieder runterflattern lassen.
»Das einzige, was noch hilft, ist die zweifelhafte Bereitschaft des Kollegen Wenzel.« Ihre Hände machten scheuchende Bewegungen.
»Nun geh schon, Paul.«
»Bist du sicher, daß…«
Sie hatte ihn angesehen und einmal fest mit dem Kopf genickt. Da war er gegangen.
Aussichtslos, Karen, dachte er beim ersten Schluck Milchkaffee. Völlig aussichtslos. Sie werden dich mit deinen fixen Ideen auflaufen und abtropfen lassen, bis du reif bist für die Urschreitherapie. Und noch nicht einmal das Naheliegende fragst du: Warum Alexa Senger, die seit dem gewaltsamen Tod Martin Schmids nicht mehr gesehen wurde, plötzlich wieder auftaucht und gleich darauf erneut verschwindet. Zusammen mit ihrem Freund, der sie zwar vor Wochen schon verlassen hat, aber plötzlich so viel Sehnsucht nach ihr verspürt, daß er den armen alten Crespin zur Seite stößt auf dem Weg zu ihr. Nur, um ein paar Sekunden schneller bei ihr zu sein.
Wenn er Lucien Crespin nicht hätte zum Arzt bringen müssen, hätte er sie sich noch einmal angesehen, die Fotos auf Alexa Sengers Küchentisch – von Martin Schmid alias Philipp Persson. Die älteren hatte nicht Alexa gemacht; sie mußten von Ada Silbermann stammen – offenbar hatte sie gewußt, wer Philipp Persson wirklich war. Gut möglich, daß ihr das zum Verhängnis geworden war. Und was, wenn Alexa zu den gleichen Schlußfolgerungen gekommen war wie die Fotografin? Was, wenn sie sich im Unterschied zu Ada Silbermann gewehrt hatte?
Aber wie war sie an die Pistole gekommen?
»Hallo, mein Lieber«, sagte eine undeutliche Stimme schräg hinter ihm. Bremer sah sich um. Der alte Crespin grinste ihn an. Er sah trotz geschwollener Backe und Pflaster über dem rechten Mundwinkel bester Laune aus.
»Warum hat der Vollidiot Sie niedergeschlagen?« Bremer rückte dem alten Herrn einen Stuhl heran und winkte Monsieur André, der schon bereitstand.
»Bring mir dein bestes Betäubungsmittel, André, sei so lieb.«
Crespin deutete mit dem Finger auf seine Wange.
Dann sah er Paul an und lächelte. »Aus Liebe, weshalb sonst. Ist es nicht immer die Liebe?«
4
Auf dem Weg nach Beaulieu
A uf einer sattgrünen, sich sanft den Hang hinaufschwingenden Wiese, unterhalb einer Baumgruppe, die vor dem dunkelblauen Himmel wie ein Scherenschnitt aussah, stand eine Tür.
»Fahr langsamer, Ben.« Alexa legte ihm die Hand aufs Knie. Sie fand den Anblick immer wieder atemberaubend. Die Tür sah aus wie ein Tor zu einer anderen Welt. Sie war nicht schön, sie war nicht alt; das futuristische Design – drei gelbe Glassplitter, fächerförmig in einen rechtekkigen Rahmen eingefügt – galt in den 50er Jahren als letzter Schrei. Sie erinnerte sich, daß die Tür im Frühjahr noch den Hauseingang eines kleinen, halbverfallenen Steinhauses im Tal verschlossen hatte. Bis Monsieur Lafont, den alle nur »Rigolo« nannten, eines Tages auf die Idee kam, sie auf die Wiese zu stellen.
Ob Rigolo ein armer Irrer war oder ein Genie, war in Beaulieu umstritten. In Alexas Augen fügte sich seine neueste Idee perfekt ein in den verrückten Traum, in dem sie lebte.
Nach der hastigen Flucht von gestern fuhren sie heute nach Beaulieu zurück. Sie sah ihn von der Seite an. Sein Gesicht war angespannt. Am liebsten hätte sie ihm die schwarzen Gedanken aus dem Kopf gepustet. Wovor fürchtete er sich? Sie hatte keine Angst.
Sie hatten das Thema gestern endlos lange durchgekaut.
»Ben. Da ist doch was. Was ist los?«
Er hatte nur stumm den Kopf geschüttelt, wie ein Pferd, das die Fliegen abwehrt.
»Warum willst du nicht zurück?«
Er hatte sich lange gewunden und war erst dann mit der Sprache herausgerückt: Philipp Persson alias Martin Schmid war tot, und sie könnte in Verdacht geraten.
Die Nachricht von Philipps Tod schockierte sie. Aber daß sie damit etwas zu tun haben könnte…
»Natürlich hast du ihn nicht umgebracht.
Aber…«
»Warum sollte ich auch?« Sie hatten das Gespräch im Hotel geführt, lange nachdem sie sich in den Armen gelegen und geliebt hatten, als wäre er nie fort gewesen.
»Du hast ihn erkannt.«
»Ich habe irgendwann eins und eins zusammengezählt. Genauso wie Ada.« Mit Respekt dachte sie an die Fotografin, die nicht weggucken wollte, auch dann nicht, als es womöglich gefährlich wurde, zuviel zu sehen. »Aber ihn erschießen…«
»Dein Vater…«
»Du meinst, ich hätte ihn Vaters wegen umgebracht?« Sie hatte sich in seine
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