Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)
störend auf den Verstand auswirken. Und ein gestörter Verstand trifft Entscheidungen, die die Vernunft nicht rechtfertigt. Man wollte die Sprachelemente ausmerzen, die zu viel Sinn transportieren. Man wollte mithilfe einer Unterlassung bewirken, dass die Gewalt nicht mehr verbal ausgedrückt wird. Man wollte nach und nach erreichen, nicht mehr zu reden. Oder nur mit Worten, die aus Zahlen bestehen; oder englisch sprechen, eine Sprache, die uns nichts Wichtiges sagt.
»Anonyme Lebensläufe! Dass ich nicht lache! Die reinste Augenwischerei! Als wäre das das Problem!«
Ich wollte schon zustimmen, denn man stimmt einem Zeitungshändler, der einen Ochsenziemer unter dem Ladentisch liegen hat, immer mehr oder weniger zu. Man braucht ihn ja nicht wiederzusehen, man braucht nie wiederzukommen, das verpflichtet einen zu nichts. Ich wollte schon zustimmen und fand auch, dass das nicht das Problem war.
»Man hätte schon früher etwas unternehmen sollen.«
Ich erwiderte nichts. Ich nahm mein Wechselgeld und die Zeitung, ahnte eine Falle. Denn verbirgt ein Lächeln, das sich um eine zu gerade zwischen die Zähne geklemmte Zigarre rundet, nicht zwangsläufig eine Falle? Sein belustigter Blick musterte mich; er erkannte mich wieder.
»Wenn man vor zehn Jahren, als es noch Zeit war, kräftig auf jene eingeschlagen hätte, die aufbegehrten, dann hätten wir jetzt unsere Ruhe.«
Ich musste mehrere Anläufe machen, um mein Wechselgeld einzusammeln, die Münzen glitten mir aus der Hand. Die Gegenstände widerstehen immer, wenn man sich ihrer möglichst schnell entledigen will. Er hielt mich zurück. Das konnte er gut.
»Vor zehn Jahren haben sie sich noch ruhig verhalten. Ein paar von ihnen haben aufgemuckt: Da hätte man streng mit ihnen umgehen müssen. Sehr streng. Ordentlich auf die Köpfe einschlagen, die aus der Masse herausragten.«
Ich versuchte wegzugehen, wich einen Schritt zurück, aber er konnte das gut. Er redete mit mir, ohne mich aus den Augen zu lassen, er redete direkt mit mir und machte sich einen Spaß daraus, auf meine Zustimmung zu warten. Er hatte mich wiedererkannt.
»Und das ist das Ergebnis, nach all dem Mist, den sie verzapft haben. So weit sind wir nun. Sie haben jetzt das Sagen, sie fürchten sich vor niemandem mehr, sie glauben, sie seien hier zu Hause. Wir haben nichts mehr zu sagen, außer in der Industrie. Die anonymen Lebensläufe sind nur ein blöder Trick, um sie mühelos da einzulassen, wo wir sie bisher noch ein bisschen unter Kontrolle hatten. Man öffnet ihnen Tür und Tor, und sie lachen sich ins Fäustchen, das können Sie sich ja denken. Ohne dass es jemand merkt, dringen sie in die letzten Winkel ein, wo wir bisher noch vor ihnen sicher waren.«
Ich versuchte wegzugehen. Ich öffnete mit einer Hand die Tür und hielt in der anderen meine Zeitung, aber er ließ mich nicht gehen. Er konnte das gut. Den Blick starr auf meine Augen gerichtet, die Zigarre genussvoll zwischen den Zähnen, machte er sich die Hypnose menschlicher Beziehungen zunutze, ohne seinen Redefluss zu stoppen. Ich hätte ihn unterbrechen müssen und hinausgehen sollen. Aber dazu hätte ich mich bei einem seiner Sätze umwenden müssen, das wäre eine Kränkung gewesen, die ich vermeiden wollte. Wir hören immer jenen zu, die mit uns reden und uns dabei anblicken; das ist ein anthropologischer Reflex. Ich wollte mich nicht auf eine eklige Diskussion einlassen. Ich hätte mir gewünscht, dass die Sache ohne Widerwärtigkeiten zu Ende ging. Und er lachte, er hatte mich wiedererkannt.
Er behauptete nichts Genaues, ich verstand, was er sagte, und allein dieses Verständnis kam schon einer Zustimmung gleich. Das wusste er. Wir sind durch die Sprache vereint, und er spielte mit den Pronomen, ohne jemals etwas zu präzisieren. Er wusste, dass ich nichts sagen würde, wenn ich nicht in offenen Konflikt mit ihm geraten wollte, und darauf wartete er unerschrocken. Wenn ich in Konflikt mit ihm geriet, würde ich ihm zeigen, dass ich alles verstanden hatte, und damit zugeben, dass ich dieselbe Sprache sprach wie er und wir dieselben Begriffe benutzten. Er behauptete etwas, und ich tat so, als verstände ich nichts: Wer das Bestehende als solches akzeptiert, hat Anspruch auf besseres Einvernehmen mit der Realität, er befindet sich schon im Vorteil.
Ich blieb an der Tür, wagte es nicht, mich umzudrehen und nach draußen zu gehen. Er schaffte es, dass ich mit offenem Mund dastand, und dann nudelte er mich wie eine weiße Gans,
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