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Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Titel: Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexis Jenni
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immer noch auf der Flucht. Die Stadtzentren sind zu Kasematten unseres befestigten Lagers geworden. Wenn ich durch das Zentrum laufe, in einer unserer eigenen Städte, und mir die Augen zuhalte wie alle anderen, um nichts zu sehen, wenn ich so durch die Stadt laufe, dann höre ich es. Ich höre es mit meinen Ohren, die offen bleiben, da ich nicht genug Hände habe, um alles zu schließen. Ist das etwa Französisch? Französisch wie ich es hören müsste, wenn ich durch das Zentrum einer unserer eigenen Städte laufe? Nein, ich höre etwas anderes. Ich höre die Klänge von dort, die voller Arroganz ertönen. Ich höre mein Französisch in einer verhunzten, verunstalteten Form, die kaum verständlich ist. Deshalb muss man die richtigen Worte verwenden, denn man urteilt nach dem Gehör. Und vom Gehör her ist es klar, dass wir bei uns schon nicht mehr zu Hause sind. Hören Sie nur hin. Frankreich zieht sich zurück, es geht kaputt, dem Gehör nach zu urteilen; nur dem Gehör nach, denn wir wollen ja nichts mehr sehen.
    Aber genug damit. Die Zeit vergeht, und deine bessere Hälfte dürfte gleich zurückkommen. Ich will keinen Ärger und auch nicht, dass du Ärger kriegst. Wir gehen jetzt, damit ihr euch euerm Strickkurs widmen könnt.«
    Er stand mit etwas Mühe auf, glättete seine Jacke, seine Augen wirkten hinter den grünen Brillengläsern müde. Sein junger Typ erhob sich mit einem Satz und blieb neben ihm stehen, er wartete respektvoll auf ihn.
    »Erinnerst du dich an alles, Salagnon?«
    »Das weißt du doch. Wenn ich irgendwann mal sterbe, wird man mich mit meinen Erinnerungen begraben. Es wird nicht eine einzige fehlen.«
    »Wir brauchen dich. Wenn du dich entschließt, deine weibische Beschäftigung an den Nagel zu hängen und dich wieder Aufgaben zu widmen, die deiner würdig sind, dann schließ dich uns an. Wir brauchen energische Typen, die sich an alles erinnern, um die jungen Leute auszubilden. Damit nichts in Vergessenheit gerät.«
    Salagnon stimmte ihm mit einem leichten Senken der Augenlider zu, was sehr sanft und zugleich sehr vage war. Er drückte ihm lange die Hand. Zeigte ihm, dass er immer da sein werde; wozu, führte er nicht weiter aus. Dem jungen Mann gab er nur ganz kurz die Hand und sah ihn kaum dabei an. Als die beiden weg waren, atmete ich auf. Ich lehnte mich in dem Velourssessel zurück und trank mein Bier aus; ich ließ den Blick über diese seelenlose Einrichtung von gewissenhafter Hässlichkeit schweifen. Die Velourskissen waren rau und die Sessel unbequem; Bequemlichkeit war offensichtlich kein Kriterium.
    »Der Paranoiker und sein Hund«, bemerkte ich gehässig.
    »Sag das nicht.«
    »Der eine spinnt und der andere bellt und hat nur den Wunsch zu gehorchen. Sind das etwa Freunde von Ihnen?«
    »Nur Mariani.«
    »Ein seltsamer Freund, der solche Reden schwingt.«
    »Mariani ist ein seltsamer Freund. Er ist der einzige Freund, der noch am Leben ist. Die anderen sind alle nach und nach gestorben, bis auf ihn. Daher schulde ich es den anderen, ihm treu zu bleiben. Wenn er herkommt, beköstige ich ihn, ich gebe ihm zu essen und zu trinken, damit er schweigt. Mir ist es lieber, wenn er etwas hinunterschluckt, als wenn er den Mund aufreißt. Zum Glück haben wir nur ein einziges Organ, um all das zu tun. Aber in deiner Gegenwart hat er wieder einmal kräftig vom Leder gezogen. Mariani ist sehr feinfühlig, er hat deine Herkunft sofort erkannt.«
    »Meine Herkunft?«
    »Gebildete Mittelschicht, die sich angesichts von Unterschieden blind stellt.«
    »Die Sache mit den Unterschieden verstehe ich nicht.«
    »Das sag ich ja. Aber er übertreibt es in deinem Beisein. Ansonsten ist er ein kluger Kerl, der alles andere als oberflächlich ist.«
    »Das ist nicht der Eindruck, den er vermittelt.«
    »Ja, leider. Er hat nur jene getötet, die zuerst auf ihn geschossen haben. Aber er hat sich mit Hunden umgeben, die bis zu den Knöcheln im Blut standen und die nur auf einen Wink von ihm warteten, um ein Massaker anzurichten. Mariani hat irgendetwas Verrücktes an sich. In Asien hat er einen Knacks gekriegt, irgendetwas in seinem Hirn ist gesprungen, ein Faden ist gerissen. Er wäre noch heute ein besonderer Mensch, wenn er hier geblieben wäre. Aber er ist nach Asien gegangen und dort hat er die Rassenunterschiede nicht ertragen. Er ist mit der Waffe in der Hand nach Asien gegangen, und da ist er irgendwie ausgeflippt, wie bei einem Amphetamin-Trip. Und von diesem Trip ist er nie wieder

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