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Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Titel: Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexis Jenni
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zuvor an Indochina gedacht, aber auf einmal träumte ich auf eindeutige, aber völlig imaginäre Weise von diesem Land.
    Ich träumte von einem riesigen Haus. Wir befanden uns im Inneren, aber wir kannten weder dessen Grenzen noch dessen Umgebung; ich wusste nicht, wer das »wir« war. Wir stiegen eine knarrende, breite Holztreppe hinauf, die in weiten Spiralen zu Treppenabsätzen führte, von denen von Türen gesäumte Flure abgingen. Wir liefen mit langsamen Schritten im Gänsemarsch hinauf und trugen schweres Marschgepäck. Ich erinnere mich nicht an Waffen, wohl aber an altmodische graubraune Rucksäcke aus Leinen mit Metallgestell und filzgefütterten Gurten. Wir trugen eine Militäruniform, stiegen diese endlose Treppe hinauf und gingen dann schweigend im Gänsemarsch durch sehr lange Flure. Es gab keine richtige Beleuchtung, die Holzverkleidung absorbierte das Licht, es gab keine Fenster oder wenn, dann waren sie von inneren Fensterläden verdeckt.
    Hinter manchen halb geöffneten Türen sahen wir Leute an einem Tisch sitzen, die schweigend aßen, und andere, die auf karierten Steppdecken zwischen dicken Kissen in tiefen Betten lagen. Wir liefen eine ganze Weile, bis wir auf einem Treppenabsatz unser Marschgepäck aufeinanderstapelten. Der Offizier, der uns befehligte, zeigte uns, wo wir uns aufzuhalten hatten. Wir legten uns ermüdet hinter unsere Rucksäcke, nur er blieb stehen. Der hagere Mann stand breitbeinig und mit aufgekrempelten Ärmeln da, die Fäuste in die Hüften gestemmt, und allein sein Gleichgewicht gewährleistete unsere Sicherheit. Wir verbarrikadierten die Treppen, stellten unsere Rucksäcke zu einem Wall auf, doch der Feind war in den Mauern. Das wusste ich, denn mehrmals sah ich mit seinen Augen. Ich sah uns weiter unten durch Risse in der Decke. Ich gab diesem Feind keinen Namen, da ich ihn nie sah. Ich sah mit seinen Augen. Ich wusste von Anfang an, dass es sich bei diesem Krieg auf begrenztem Raum um den Indochinakrieg handelte. Wir wurden angegriffen, wir wurden ununterbrochen angegriffen, der Feind zerriss die Tapeten, stürzte aus Zwischenwänden hervor, fiel von der Decke. Ich erinnere mich nicht an Waffen oder Explosionen, nur an diese Risse und das plötzliche Auftauchen, an das Hervorbrechen der Gefahr aus Wänden und Decken, die uns umgaben. Wir waren überfordert, waren heroisch, zogen uns auf engstem Raum auf dem Treppenabsatz hinter unseren Rucksäcken zurück, unser Offizier stand noch immer mit in die Hüften gestemmten Fäusten vor uns und deutete mit einer Kinnbewegung an, wo wir uns während der verschiedenen Phasen der Invasion aufzuhalten hatten.
    Ich schlug während dieses Traums um mich und wachte in einer nach verdampfendem Wein riechenden Schweißlache auf. Am ganzen folgenden Tag konnte ich mich nicht von dem beängstigenden Bild eines Hauses lösen, das mich erdrückte, und von der Arroganz dieses schlanken, stets aufrecht stehenden Offiziers, der uns beruhigte.
    Als die traumatische Wirkung des Traum verflogen war, blieb mir das »wir« des Berichts zurück. Ein unbestimmtes »wir« durchlief diesen Traum, durchlief den Bericht, den ich davon ablegte, und beschrieb in Ermangelung eines Besseren den allgemeinen Gesichtspunkt, von dem aus der Traum erlebt wurde. Denn Träume werden erlebt. Der Gesichtspunkt, von dem aus der Traum erlebt wurde, war ein kollektiver. Ich befand mich unter Soldaten, die mit Marschgepäck marschierten, ich befand mich unter Soldaten, die sich hinter ihren Rucksäcken verschanzt hatten, um Schutz zu suchen und sich immer wieder zurückzogen, aber ich war auch in dem verstohlenen Blick, der ihnen aus den Wänden auflauerte, ich war auch in dem gemeinsamen Atemzug, der mir erlaubte, darüber Bericht zu erstatten. Der Einzige, der ich nicht war, der Einzige, der nicht in dieses »wir« einbezogen war und sein »er« behielt, war der hagere Offizier, der die ganze Zeit ohne Waffe aufrecht dastand und dessen helle Augen alles richtig interpretierten und dessen Befehle uns retteten. Uns retteten.
    »Wir« ist performativ; das »wir« schafft allein dadurch, dass es ausgesprochen wird, eine Gruppe; das »wir« bezeichnet eine unbestimmte Anzahl von Personen, einschließlich dessen, der spricht, und derjenige, der spricht, kann in ihrem Namen sprechen, ihre Beziehung ist so stark, dass er für alle sprechen kann. Wie habe ich nur in der Spontaneität meines Traums ein derart unreflektiertes »wir« verwenden können? Wie kann ich ein Ereignis

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