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Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Titel: Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexis Jenni
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Sonne untergegangen war, waren sie ein paar Minuten lang von in Dunst schwebenden Porzellanbergen umgeben, die federleicht zu sein schienen; die bläulichen Kämme wirkten, als berührten sie den Boden nicht mehr; dann verblassten sie nach und nach, lösten sich auf, waren verschwunden, und es wurde Nacht. Die Nacht ist eine Einschränkung des Sichtbaren, ein allmähliches Verschwinden der Ferne, eine Überflutung durch das schwarze Wasser, das aus der Erde quillt. Dort oben auf dem Kamm verloren die Soldaten den Boden unter den Füßen. Die Nacht brach über sie herein wie eine Meute schwarzer Bestien, die auf steilen Wegen aus den tiefen Tälern heraufkam, sie beschnupperte die Waldränder, stieg die Hänge hinauf, bedeckte alles und verschlang am Ende den Himmel. Die Nacht kam von unten mit grimmigem Hecheln, der Lust zu beißen und der manischen Unruhe einer Meute von Doggen.
    Wenn die Nacht angebrochen war, wussten sie, dass sie bis zum Morgengrauen allein in einem geschlossenen Raum mit unverschlossenen Türen sein würden, umgeben vom hechelnden Atem der schwarzen Bestien, die sie suchten und in der Dunkelheit jaulten. Niemand würde den Männern zu Hilfe kommen. Sie schlossen das Tor ihres kleinen Forts, doch es war nur aus Bambus. Ihre Flagge hing schlaff an einer langen Stange, und bald wurde sie von der Nacht verschluckt, sie sahen keine Sterne, denn der Himmel war verschleiert. Sie waren allein in der Nacht. Sie setzten das Stromaggregat in Gang und zählten sorgfältig die Anzahl der Fässer mit Dieselöl; sie setzten das in den Gräben mit den Bambusstäben verflochtene Netz der Eisendrähte unter Hochspannung; sie schalteten die Scheinwerfer in den Ecktürmen ein, die aus Stämmen und Lehm errichtet waren, sowie die einzige Deckenlampe der Kasematte. Die übrige Beleuchtung wurde durch die Petroleumlampen und Öllampen der Hilfswilligen gewährleistet, die in kleinen Gruppen in den Ecken der Umzäunung hockten.
    Nicht die Nacht sinkt abends herab – die Nacht steigt aus den belebten Tälern herauf, die den Posten umgeben, unten vor den mit gelbem Gras bewachsenen Hügeln –, was abends sinkt, ist ihr Mut, ihr Selbstvertrauen und ihre Hoffnung, eines Tages anderswo zu leben. Wenn es Nacht wird, haben sie das Gefühl, für immer hierbleiben zu müssen, dann denken sie an ihren letzten Atemzug, an den letzten Moment, und wie sich ihr Körper anschließend in Indochina in der sauren Erde des Waldes auflöst, wie ihre Knochen vom Regen fortgespült werden und ihr Fleisch sich in Blätter verwandelt, zu Affennahrung wird.
    Rufin schlief. Mariani bastelte am Funkgerät, er lauschte inmitten von knisternden Geräuschen französischen Wortfetzen und überprüfte tausend Mal, ob es auch wirklich funktionierte. Gascard, der neben ihm saß, begann zu trinken, sobald es dunkel wurde, aber völlig ungezwungen und ohne großes Aufheben zu machen, so als tränke er einen Aperitif an einem lauen Sommerabend; wenn er zu viel trank, merkte man ihm das nicht an, er fiel nie hin, wankte nicht, das Licht der Lampen zitterte so sehr, dass man das Zittern seiner Hände nicht bemerkte. Moreau und Salagnon, die draußen geblieben waren, hatten die Ellbogen auf die Lehmbrüstung gelegt und blickten in die Dunkelheit, sie sahen nichts und sprachen sehr leise, als ob die schwarzen Bestien, die die Welt bevölkern, sie hören, ihre Anwesenheit wittern und angepirscht kommen könnten.
    »Weißt du«, flüsterte Moreau, »wir sitzen hier in der Falle. Wir haben nur zwei Möglichkeiten: Entweder wir warten, bis wir eines Tages überrumpelt oder nachts im Bett abgeschlachtet werden, falls wir nicht vorher abgelöst werden; oder wir machen es wie sie, verstecken uns in den Büschen und spielen nachts ein bisschen Katz und Maus mit ihnen.«
    Er verstummte. Die Dunkelheit wirkte wie schweres, duftendes, grundloses Wasser. Aus dem Wald drangen Schreie und knackende Geräusche an ihr Ohr, ein Lärm, der verschiedene Ursachen haben konnte: Tiere, sich bewegendes Laub oder das Echo von in Kolonnen zwischen den Bäumen marschierenden Kämpfern. Salagnon verfiel unwillkürlich in Schweigen, ein lauschendes, in dieser verschwommenen Dunkelheit überflüssiges Schweigen, dabei hätten sie alle sprechen müssen, unter der elektrischen Lampe der Kasematte unentwegt Französisch sprechen müssen, um zu sich selbst zurückzufinden, sich an ihr eigenes Leben zu erinnern und noch ein wenig zu existieren, so sehr drohte sich ihr Selbstwertgefühl in

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