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Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Titel: Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexis Jenni
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der Nacht aufzulösen. Salagnon spürte, dass seine geistige Gesundheit und sein Überleben in den folgenden Wochen von der Anzahl der Fässer mit Dieselöl abhängen würden, über die sie noch verfügten. Im Dunkeln wäre er hier verloren.
    »Also, was meinst du?«
    »Tu, was du nicht lassen kannst.«
    Tagsüber glich der Posten einer Festung für Zinnsoldaten, wie die Burgen, die man aus gestampfter Erde, flachen Kieseln und Kiefernnadeln errichtet; in den Ferien oder am schulfreien Donnerstagnachmittag hatten sie alle solche Burgen gebaut, nun wohnten sie darin. Das Fort war aus Holz, Lehm und Bambus errichtet, und mit dem mit Lastwagen herbeigeschafften Zement war eine Kasematte gebaut worden, in der die Franzosen untergebracht waren: ihr Bergfried, der nicht höher war als die Umfassungsmauer. Sie lebten in ihrer Burg auf dem Kamm, vier Recken und ihr Fußvolk, auf einer kahlen Anhöhe, die riesige, von oben gesehen schön grüne, nur von den braunen Schleifen des Flusses unterbrochene Waldflächen dominierte. Man verwendet das Wort »dominieren«, wenn eine Festung die Landschaft geografisch beherrscht, hier aber war dieser Ausdruck lächerlich. Eine ganze Division hätte unter den Bäumen weiter unten herziehen können, ohne von ihnen gesehen zu werden. Salagnon hätte natürlich ein paar Geschosse in den Wald abfeuern lassen können. Das hätte er natürlich machen können.
    Die Tage vergingen und häuften sich an, lange, immer gleiche Tage, an denen sie den Wald überwachten. Das Soldatenleben besteht aus langen Zeiten der Leere und des Nichtstuns, bei denen man sich fragt, ob sie eines Tages zu Ende gehen, doch bald stellt man sich diese Frage nicht mehr. Das Warten, das Wachen, der Transport, all das dauert so lange, dass man nie ein Ende absieht, und jeden Tag beginnt es von neuem. Und plötzlich kommt die Zeit in den jähen Zuckungen eines Angriffs wieder in Gang, als überstürze sie sich, nachdem sie sich so lange angehäuft hatte. Und auch diese Phase, in der man nicht schläft, ständig auf der Hut ist und möglichst schnell reagiert, dauert lange, all das ist endlos – bis auf den Tod. Ehemalige Soldaten, die ins Zivilleben zurückgekehrt sind, können besser mit der Zeit umgehen als andere Menschen, sie verstehen es, sich hinzusetzen und zu warten, ohne etwas zu tun, unbewegt die Zeit an sich vorüberziehen zu lassen, als ließen sie sich reglos im Wasser treiben. Sie ertragen die Leere besser als andere, aber ihnen fehlt der plötzliche Nervenkitzel, der mit einem Mal all das lebendig werden lässt, was sich während der Leere angehäuft hat, den es aber nach dem Krieg nicht mehr gibt.
    Morgens wachten sie voller Freude auf, beruhigt darüber, dass sie die Nacht überlebt hatten, und sahen die Sonne im Nebel aufgehen, der aus den Bäumen aufstieg. Salagnon zeichnete oft. Er hatte genug Zeit dafür. Er setzte sich hin und versuchte sich in Lavierung, Tuschezeichnung und Landschaftsmalerei; hier handelte es sich bei all dem um das Gleiche, denn das im Boden und in der Luft enthaltene Wasser verwandelte das ganze Land in eine Lavur. Er setzte sich ins hohe Gras oder auf einen Felsen und zeichnete mit Tusche den welligen Horizont, die fast durchsichtige Folge von Hügelketten, die Bäume, die schwarz aus den Wolken ragten. Am Vormittag wurde das Licht härter, Salagnon verdünnte die Tusche weniger. Im Hof des Postens zeichnete er die thailändischen Hilfswilligen, er zeichnete sie aus einer gewissen Entfernung, um nur ihre Haltung wiederzugeben. Auf dem Boden ausgestreckt, sitzend, in der Hocke, gebeugt oder aufrecht stehend konnten sie viel mehr Haltungen einnehmen als sich die Europäer vorstellen konnten. Der Europäer steht, liegt oder setzt sich; der Europäer reagiert auf die Erde mit hochmütiger Verachtung oder mit Verzicht. Die Thai dagegen schienen den Boden, über den sie gingen, nicht zu hassen und auch keine Angst vor ihm zu haben, sie konnten alle nur erdenklichen Haltungen einnehmen. Salagnon lernte die Vielzahl aller möglichen Körperhaltungen kennen, indem er die Thai zeichnete. Er versuchte auch Bäume zu zeichnen, doch sobald er einen ausgewählt hatte, gefiel er ihm nicht mehr. Sie waren meistens schwächlich, bildeten aber insgesamt eine furchterregende Masse. Wie die Menschen, wie die Menschen in diesem Land, über die er nicht viel wusste. Er zeichnete das Porträt der vier Männer, mit denen er zusammenlebte. Er zeichnete Felsen.
    Moreau hatte nicht vor, sich auf diese

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