Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)
über den Weg, wenn man ihn streifte, würde die Granate hochgehen. Als sie die Explosion der ersten Handgranate hörten, wussten sie, dass sie verfolgt wurden. Sie umliefen das Dorf, mieden die Straße, rannten durch den Wald, um an den Fluss zu gelangen. Die gedämpften Explosionen hinter ihnen zeigten an, dass sie methodisch verfolgt wurden; der Politkommissar ließ seine Abteilung nach jeder explodierten Handgranate antreten, bestimmte einen Truppführer, und dann machten sie sich wieder auf den Weg.
Sie flohen im Laufschritt, rannten zwischen den Bäumen her, schlugen mit dem Haumesser störende Äste ab, kennzeichneten dabei ihren Weg, liefen über Laub, wateten durch Schlamm, rannten steile Hügel hinab, glitten manchmal aus und hielten sich an Stämmen oder an ihrem Vordermann fest und fielen dann gemeinsam hin. Bei Tagesanbruch waren sie erschöpft und wussten nicht, wo sie waren. Nebelbänke umgaben das Laub, ihre Kleider waren steif vor Schlamm, mit eiskaltem Wasser getränkt, sie selbst dagegen waren in warmem Schweiß gebadet. Sie rannten weiter, behindert durch die wild wachsende Vegetation, durch Zweige, von denen manche weich, andere messerscharf, manche wiederum fest und faserig wie Bindfäden waren, behindert durch den sich zersetzenden Boden, der unter ihren Füßen nachgab, behindert durch ihren Rucksack, dessen Riemen ihnen in die Schultern schnitt und ihren Brustkorb einschnürte, ihre Halsschlagader pochte schmerzhaft. Sie machten halt. Es dauerte eine Weile, ehe sich die weit auseinandergezogene Reihe an einer Stelle eingefunden hatte. Sie setzten sich, lehnten sich an Bäume, an aus dem Boden ragende Felsen. Sie aßen gedankenlos Bällchen aus kaltem Reis. Es begann wieder zu regnen. Sie konnten nichts tun, um sich dagegen zu schützen, und daher taten sie nichts. Den Thai klebte das dichte Haar am Gesicht wie ein Teerstrom.
Die dumpfe Explosion der Handgranaten ertönte in weiter Ferne; das Echo wurde von Hügel zu Hügel zurückgeworfen, drang aus mehreren Richtungen an ihr Ohr. Sie konnten deren Entfernung nicht ermessen.
»Wir müssen eine Auffanglinie schaffen. Eine Nachhut zurücklassen, um sie aufzuhalten. Einer von uns und vier Männer«, sagte Moreau.
»Ich bleibe hier«, sagte Rufin.
»Gut.«
Rufin saß an seinen Rucksack gelehnt und hatte genug. Er schloss die Augen, er war erschöpft. Zurückzubleiben ermöglichte ihm, nicht mehr zu rennen. Die Müdigkeit lässt den zeitlichen Horizont auf eine winzige Dimension zusammenschrumpfen. Zurückzubleiben hieß für ihn, nicht mehr rennen zu müssen. Was anschließend geschehen würde, stand auf einem anderen Blatt. Sie übergaben ihnen alle Handgranaten, den Sprengstoff, das Funkgerät. Sie brachten im Schutz eines Felsens ein Schnellfeuergewehr in Stellung, ein anderes auf der gegenüberliegenden Seite, wo die Ankömmlinge Deckung suchen würden, sobald der erste Schuss fiel.
»Auf geht’s!«
Sie rannten weiter den Hang hinab, dem Fluss entgegen. Es hörte auf zu regnen, aber im Vorüberlaufen fielen bei jeder Erschütterung Tropfen von den Bäumen. Die Vietminh folgten ihnen noch immer, der Kämpfer, der die Kolonne anführte, biss die Zähne zusammen, denn bald würde der verminte Weg unter ihm explodieren. Der Erste in der Reihe opferte sein Leben für Doc Lap , für die Unabhängigkeit, das einzige Wort, das Salagnon von den auf die Mauern geschriebenen Parolen verstand. Das Opfer war gleichsam eine Kriegswaffe, dessen sich der Politkommissar bediente, und die angehenden Opfer schnitten im Maschinengewehrfeuer Stacheldraht durch, warfen sich gegen Wände, sprengten sich in die Luft, um Türen zu öffnen, setzten ihren Körper als Kugelfang ein. Salagnon begriff diesen bis zum Äußersten gesteigerten Gehorsam vom Verstand her nicht recht; aber als er durch den Wald rannte, von seiner Waffe behindert, Arme und Beine zerkratzt und voller blauer Flecken, zerschlagen, vor Müdigkeit wie gerädert, wusste er, dass er alles getan hätte, was man ihm befohlen hätte; gegen die anderen oder gegen sich selbst. Das wusste er genau.
In einer Nacht wurden die kleinen Posten des Hochlands hinweggefegt, eine Bresche öffnete sich auf der Landkarte, General Giaps Divisionen strömten ins Delta. Die Franzosen flohen. Als Salagnon und seine Männer die Kolonialstraße erreichten, stießen sie auf einen halb umgekippten, rauchenden Panzer mit offener Luke. Geschwärzte Lastwagenwracks waren verlassen worden, alle möglichen Gegenstände
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