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Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Titel: Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexis Jenni
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übersäten den Boden, aber keine Leichen. Die Männer versteckten sich misstrauisch im hohen Gras am Straßenrand, aber sie fürchteten einzuschlafen, wenn sie liegenblieben und sich nicht mehr rührten.
    »Gehen wir weiter?«, flüsterte Salagnon. »Sonst holen die uns bald ein.«
    »Warte.«
    Moreau zögerte. Der Pfiff einer Trillerpfeife zerriss die feuchte Luft. Im Wald wurde alles still, die Tiere verstummten, es waren keine Schreie mehr zu hören, kein Knacken von Ästen, kein Rascheln von Blättern, kein Piepsen von Vögeln und kein Zirpen von Insekten mehr, all das, was man irgendwann nicht mehr hört, was aber noch immer da ist: und wenn es aufhört, bekommt man einen Schreck und rechnet mit dem Schlimmsten. Auf der Piste tauchte ein Mann auf, der ein Fahrrad schob. Hinter ihm gingen Männer im Schritttempo, jeder schob ein Fahrrad. Die Fahrräder wirkten wie kleine asiatische Pferde, dickbäuchig und mit kurzen Beinen. Riesige Säcke hingen an den Rahmen, verdeckten die Räder. Auf ihnen balancierten grün gestrichene Waffenkisten, die mit chinesischen, mithilfe einer Schablone gemalten Schriftzeichen versehen waren. Mehrere Reihen von an Strohseilen hängenden Mörsergranaten ruhten auf den Säcken. Jedes zur Seite geneigte Fahrrad wurde von einem Mann in schwarzer Tracht geschoben, er steuerte es mit einem an den Lenker gebundenen Bambusrohr. Sie kamen nur langsam voran, lautlos, in einer Reihe, und wurden von Soldaten in brauner Uniform flankiert, die mit Laub getarnte Helme trugen, das Gewehr quer vor der Brust hängen hatten und den Himmel musterten. »Fahrräder«, flüsterte Moreau. Man hatte ihm von dem Bericht des Nachrichtendienstes erzählt, in dem die Transportkapazität der Vietminh berechnet worden waren. Sie hatten keine Lastwagen und keine Straßen, Zugtiere waren selten, und Elefanten gab es nur in den Wäldern Kambodschas; alles wurde daher von Menschen transportiert. Ein Kuli trug im Wald achtzehn Kilo, er musste seine Essensration mitschleppen, mehr konnte er nicht tragen. Der Nachrichtendienst berechnete die Autonomie der feindlichen Truppen auf der Grundlage von unbestreitbaren Zahlen. Keine Lastwagen, keine Straßen, achtzehn Kilo pro Träger, nicht mehr, und er musste seine Essensration mitschleppen. Im Wald fand man nichts, nur das, was man selbst mitgebracht hatte. Die Truppen der Vietminh konnten sich daher nicht länger als ein paar Tage zusammenschließen, da sie nichts zu essen hatten. Aus Mangel an Lastwagen, Straßen und anderer Transportmittel als den kleinen Männern, die nicht viel zu tragen vermochten. Die französischen Truppen würden daher länger durchhalten können dank der Lastwagen, die auf Straßen eine Unmenge von Dosen mit Ölsardinen befördern konnten. Aber dort vor ihren Augen beförderte jeder Mann allein und ohne Mühe dreihundert Kilo durch den Wald, und das zum Preis eines in Hanoi gekauften oder vielleicht in einem Lager in Haiphong gestohlenen Fahrrads der Marke Manufrance . Die Soldaten der Eskorte musterten den Himmel, die Piste, die Wegränder. »Bald werden sie uns sehen.« Moreau zögerte. Die Müdigkeit hatte ihn abstumpfen lassen. Überleben bedeutet, die richtige Entscheidung zu treffen, ein bisschen auf gut Glück, und das setzt voraus, angespannt zu sein wie ein Drahtseil. Ohne diese Anspannung wirkt sich der Zufall ungünstiger aus. Das Brummen der Flugzeuge erfüllte den Himmel, nicht lauter als eine Fliege in einem Raum, man wusste nicht, aus welcher Richtung es kam. Ein Soldat der Eskorte nahm die Trillerpfeife, die ihm um den Hals hing, und setzte sie an die Lippen. Das schrille Signal zerriss die Luft. Die Fahrräder bogen gemeinsam in den Wald ein und verschwanden zwischen den Bäumen. Das Dröhnen der Flugzeuge wurde lauter. Die Piste war inzwischen leer. Das Verstummen der Tiere ließ sich aus der Luft nicht wahrnehmen. Die beiden Flugzeuge, die unter den Flügeln spezielle Fässer hängen hatten, überflogen sie im Tiefflug. Sie entfernten sich. »Auf geht’s!« Gebückt drangen die Männer in den Wald ein. Sie rannten zwischen den Bäumen her, weit weg von der Kolonialstraße, dem Fluss entgegen, wo man sie vielleicht noch erwartete. Hinter ihnen ertönte wieder ein durch die Entfernung und das Laub gedämpfter Pfiff. Sie rannten durch den Wald, immer dahin, wo es bergab ging, Richtung Fluss. Wenn ihnen der Atem ausging, verlangsamten sie etwas. Beim Rennen erzeugten sie ein Hämmern von dicken Sohlen auf dem Boden, ein

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