Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Titel: Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexis Jenni
Vom Netzwerk:
Sieg. Die Überlebenden einer Flucht verdienen ebenso sehr eine Auszeichnung wie die Sieger.«
    »Aber was tun Sie denn eigentlich hier?«
    »Bei Ihnen? Ich erkundige mich nach Ihrem Befinden. Sie sind mir sympathisch, junger Mann.«
    »Nein, ich meine in Indochina.«
    »Ich kämpfe wie Sie.«
    »Aber Sie sind doch Deutscher.«
    »Na und? Sie sind ebenso wenig Indochinese wie ich, soweit ich das beurteilen kann. Sie führen Krieg und ich führe Krieg. Kann man etwas anderes tun, wenn man nur das gelernt hat? Wie sollte ich heute in Frieden leben, und mit wem? Alle Leute, die ich in Deutschland kannte, sind in einer Nacht umgekommen. Die Orte, an denen ich gelebt habe, sind in derselben Nacht ausradiert worden. Was ist in Deutschland von dem noch da, was ich gekannt habe? Warum sollte ich dorthin zurückkehren? Um mich am Wiederaufbau zu beteiligen, in der Industrie oder im Handel tätig zu werden? Um Büroangestellter zu werden, mit einer Aktentasche und einem kleinen Hut? Um jeden Morgen ins Büro zu gehen, nachdem ich mit aufgekrempelten Hemdsärmeln als Sieger durch ganz Europa gezogen bin? Das würde bedeuten, mein Leben auf grässliche Weise zu beenden. Ich habe niemandem, dem ich erzählen könnte, was ich erlebt habe. Und daher will ich sterben wie ich gelebt habe, als Sieger.«
    »Wenn Sie hier sterben, werden Sie im Dschungel begraben oder sogar auf der nackten Erde liegen gelassen, an einer Stelle, von der niemand je etwas erfährt.«
    »Na und? Wer kennt mich denn noch, außer denen, die mit mir Krieg führen? All die, die sich an meinen Namen erinnern konnten, sind in einer einzigen Nacht umgekommen, das habe ich Ihnen schon gesagt, sie sind im Flammenmeer eines Angriffs mit Phosphorbomben verbrannt. Von ihnen ist nichts übrig geblieben, nichts Menschliches, nur Asche, ein paar von einer ausgedörrten Membran umgebene Knochen und Fettpfützen, die morgens mit heißem Wasser weggespritzt worden sind. Wissen Sie, dass jeder Mensch fünfzehn Kilo Fett enthält? Das weiß man nicht, solange man lebt, erst wenn es schmilzt und fließt, wird einem das klar. Was von einem Körper übrig bleibt, dieser getrocknete Sack, der in einer Ölpfütze schwimmt, ist viel kleiner, viel leichter als ein Körper. Man erkennt ihn nicht wieder. Man sieht ihm nicht einmal an, dass es der Rest eines Menschen ist. Daher bleibe ich lieber hier.«
    »Sie wollen mir doch wohl nicht erzählen, Sie seien ein unschuldiges Opfer des Krieges. Die größten Sauereien haben doch Sie begangen, oder etwa nicht?«
    »Ich bin kein Opfer, Monsieur Salagnon. Deshalb bin ich in Indochina und nicht Buchhalter in einem wiederaufgebauten Büro in Frankfurt. Ich habe vor, mein Leben als Sieger zu beenden. Und nun sollten Sie besser schlafen.«
    Salagnon verbrachte eine furchtbare Nacht, in der er vor Kälte zitterte. Sein verwundeter Schenkel schwoll derart an, dass er fast erstickte, und mit einem Schlag schwoll er wieder ab, sodass er das Gleichgewicht verlor. Der Leichenberg schimmerte in der Dunkelheit, Moreau rührte sich mehrmals und versuchte mit ihm zu sprechen. Höflich blickte Salagnon zum Leichenberg, der von Stunde zu Stunde immer mehr in sich zusammensank, und schickte sich an, Moreau zu antworten, falls dieser ihm eine klare Frage stellen sollte.
    Morgens wurde eine große rote, mit einem goldenen Stern verzierte Fahne am Waldrand geschwenkt und ein Hornsignal ertönte. Ein Schwarm von Soldaten mit Helmen, die mit Laub getarnt waren, stürmte auf die Stacheldrahtrollen zu, auf die Sandsäcke, hinter denen Schützengräben verborgen waren, auf verminte Löcher, auf die spitzen Bambusrohre, auf die Fallen, auf die Waffen, die schossen, bis sich die Rohre röteten. Sie waren so zahlreich, dass trotz des Kugelhagels, der auf sie niederging, immer neue Menschenmassen auf das Dorf zumarschierten, dem Feuer widerstanden. Der Boden unter Salagnon, der auf seiner Bahre lag, zitterte. Dieses Zittern war schmerzhaft, drang in sein Bein ein, stieg bis zu seinem Schädel hoch. Die Wirkung des Morphiums ließ nach; niemand dachte daran, ihm eine weitere Dosis zu verabreichen.
    Am Rand des Dorfes gab es viele Tote. Die Verteidigungsgräben füllten sich mit verunstalteten, zerfetzten, verbrannten Leichen. Die Armee der Vietminh hatte ungeheuer viele Verluste, drang aber weiter vor; die Fremdenlegion verlor einen Mann nach dem anderen, wich aber keinen Schritt zurück. Die Vietminh waren so nah am Dorf, dass die Geschütze verstummten. Es wurden

Weitere Kostenlose Bücher