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Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Titel: Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexis Jenni
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begnügte er sich damit, sie zu zeichnen. Er fand sie sehr schön, aber von einer Schönheit, die sich für Zeichnungen eignete. Er näherte sich ihnen nicht genug, um sie anders als mit einem Strich zu erfassen. Sie waren für ihn reine Linien aus flatterndem Stoff, Wäsche auf einer Leine, und ihr langes schwarzes Haar war wie ein vom Pinsel hinterlassener Tuschestrom. Die Frauen in Indochina hatten einen anmutigen Gang, setzten sich voller Anmut hin, hielten voller Anmut ihren großen konischen Hut aus geflochtenem Stroh in der Hand. Er zeichnete viele und sprach keine an. Man machte sich lustig über seine Schüchternheit. Er ließ schließlich ohne Einzelheiten zu erwähnen, durchblicken, dass er mit einer Französin aus Algier verlobt sei. Daraufhin machte man sich nicht mehr über ihn lustig, sondern lobte mit vielsagendem Lächeln seinen Mut. Verständnisvoll wurde das feurige Temperament der Südländerinnen heraufbeschworen, ihre dramatische Eifersucht, ihre unvergleichliche sexuelle Aggressivität. Die asiatischen Frauen schritten mit dem Knistern von Seide in der Ferne vorbei, hochmütig, voller Anmut und stets bemüht, unerreichbar zu erscheinen, versäumten es aber nie, sich insgeheim der hervorgerufenen Wirkung zu vergewissern. Auf den ersten Blick machen sie einen kühlen Eindruck, sagte man. Doch wenn man diese Barriere überwunden und den richtigen Zugang zu ihnen gefunden hat, dann, ja dann … Das besagte alles. Nicht mehr darüber zu erfahren, war ihm durchaus recht.
    Der Gedanke an Euridice verfolgte ihn in all seinen Mußestunden. Er schrieb ihr weiterhin. Er langweilte sich. Er begegnete nur Leuten, mit denen er keinen Kontakt haben wollte. Die Armee veränderte sich. In Frankreich wurden junge Leute rekrutiert, er fühlte sich alt. Per Schiff traf eine Armee von Dummköpfen ein, die den Sold, das Abenteuer oder das Vergessen suchten; sie verpflichteten sich, um einen Beruf zu haben, denn in Frankreich fanden sie keine Arbeit. Während dieser Wochen der Genesung, in denen er durch Hanoi spazieren ging, erlernte er die chinesische Kunst des Pinselstrichs. Dabei gibt es auf diesem Gebiet nichts zu lernen, nur die Praxis zählt. Was er in Hanoi lernte, war die Tatsache, dass es eine Kunst des Pinselstrichs gab; und das war mindestens so wichtig wie das theoretische Lernen.
    Ehe er seinen Lehrmeister traf, hatte er oft gemalt, um seine Finger zu beschäftigen, um seinen Spaziergängen ein Ziel zu geben und um das besser zu sehen, was er vor Augen hatte. Er schickte Euridice Zeichnungen von Wäldern, von sehr breiten Flüssen, von spitzen Hügeln im Nebel. »Ich zeichne für dich den Wald wie einen riesigen Samtteppich, wie ein bequemes Sofapolster«, schrieb er ihr. »Aber lass dich dadurch nicht täuschen. Meine Zeichnung ist falsch. Sie ist rein äußerlich und richtet sich an jene – die Glücklichen –, die nie einen Fuß in den Dschungel gesetzt haben. In Wirklichkeit ist er nicht so kompakt, nicht so tief, nicht so dicht, sein Aussehen ist sogar eher ärmlich und seine Zusammensetzung sehr ungeordnet. Aber wenn ich ihn so gezeichnet hätte, würde mir niemand glauben, dass es sich um einen Dschungel handelt. Dann würde man mich für melancholisch halten. Man würde meine Zeichnung für falsch einschätzen. Und darum zeichne ich den Wald falsch, damit man ihn für echt hält.«
    Er saß mit dem Rücken an einen Baumstamm gelehnt an der großen, von Frangipani gesäumten Avenue und skizzierte mit einem Pinsel das, was man durch die Bäume von den schönen Villen sah. Sein Blick ging zwischen dem Blatt und den kolonialen Fassaden hin und her, suchte eine Einzelheit, während sein Pinsel einen Augenblick über dem neben ihm stehenden Tuschefass in der Luft verharrte. Er war so konzentriert, dass die Kinder, die im Kreis um ihn herumhockten, ihn nicht anzusprechen wagten. Durch Zeichnen vollbrachte er das Wunder, eine Schar asiatischer Kinder verstummen zu lassen und zur Ruhe zu bringen. Halblaut machten sie sich gegenseitig mit ihren einsilbigen Vogellauten auf eine Einzelheit der Zeichnung aufmerksam, zeigten auf der Straße mit dem Finger darauf und lachten hinter vorgehaltener Hand darüber, wie Salagnon die Wirklichkeit verwandelte.
    Ein ganz in Weiß gekleideter Mann, der die Avenue hinabkam und dabei einen Spazierstock schwenkte, blieb hinter Salagnon stehen und betrachtete seine Skizze. Er trug einen weichen Panama und stützte sich ganz leicht, nur aus Gründen der Eleganz, auf seinen

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