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Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Titel: Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexis Jenni
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irgendetwas muss ja schließlich dableiben. Von den Gegenständen, die mich zwanzig Jahre lang begleitet haben, entgehen immer ein paar der Zerstörung, eines Tages stößt man wieder auf sie und fragt sich warum.
    Ich hätte den Entschluss fassen können, es zu zerreißen und es wegzuwerfen, aber ich habe nie den Mut dazu gehabt. Ich habe dieses Foto behalten, es hat auf rätselhafte Weise alle erdenklichen Arten des Verschwindens überstanden und ist noch immer da wie ein banales Überbleibsel, von dem man sich fragt, wie es all die Jahrhunderte hat überstehen können, während alles andere ringsumher verschwunden ist: eine Spur im Sand, eine beschädigte Sandale oder ein Kinderspielzeug aus gebranntem Ton. Es gibt so etwas wie einen archäologischen Zufall, der bewirkt, dass manche Spuren ohne eigentlichen Grund bestehen bleiben.«
    Er zeigte mir ein kleines Foto mit dem damals üblichen weißen Büttenrand, halb so groß wie eine Postkarte. Auf diesem kleinen Bild umringt eine Gruppe von Männern, die ins Objektiv blicken, ein großes Kettenfahrzeug. Man konnte nicht viel erkennen, weil die Gestalten so klein waren und die Grautöne nur geringe Kontraste aufwiesen. Damals ging man mit Fotopapier und den zur Entwicklung erforderlichen chemischen Produkten sehr sparsam um, und die Laboranten der Kleinstädte Indochinas waren Amateure, die viel zu schnell arbeiteten.
    »Der Umstand, dass man so gut wie nichts auf dem Foto erkennen kann, hat dazu beigetragen, dass ich es behalten habe. Ich hatte mir immer vorgenommen, die abgebildeten Kameraden zu identifizieren und herauszufinden, wie viele von ihnen noch leben. Aber nachdem ich so lange damit gewartet habe, nähert sich das Ergebnis der Null; ich glaube, ich bin der Einzige, der noch da ist. Und vielleicht das Kettenfahrzeug, ein großes Wrack, das irgendwo im Wald verrostet. Hast du mich entdeckt?«
    Es war schwierig die Gesichter zu unterscheiden, sie waren nur ein grauer Fleck, in dem zwei etwas dunklere Punkte die Augen und ein weißer Punkt das Lächeln darstellten. Ich hatte Mühe zu erkennen, was für ein Fahrzeug das war, sein Drehturm war nicht der eines Panzers, das Rohr wirkte viel zu kurz. Und dahinter erahnte man dichte, wild wachsende Vegetation.
    »Der Wald von Tonkin; wir nannten ihn dort manchmal den Tschonkel, aber diese Aussprache ist heute nicht mehr geläufig. Hast du mich gefunden?«
    Ich erkannte ihn schließlich an seiner hochgewachsenen, schlanken Statur wieder, an seiner triumphierenden Kopfhaltung und an der Art, sich aufzubauen wie ein Standartenträger.
    »Hier?«
    »Ja. Das einzige Foto von mir in zwanzig Jahren, und man erkennt mich kaum darauf.«
    »Wo waren Sie?«
    »Zu jenem Zeitpunkt? Überall. Wir waren die allgemeine Kampfreserve. Man schickte uns dorthin, wo es ein Problem gab. Ich wurde nach meiner Genesung in dieser Einheit eingesetzt. Sie brauchten Männer, die in Form waren, Männer die immer Glück hatten, Unsterbliche. Wir sind unentwegt gerannt und über dem Feind abgesprungen. Sobald man uns rief, waren wir zur Stelle.
    Ich habe gelernt, aus einem Flugzeug abzuspringen. Wir wurden nur selten abgesetzt, und gingen meistens zu Fuß, aber so ein Absprung ist etwas Eindrucksvolles. Wir waren aschfahl, stumm und saßen in einer Reihe im Rumpf einer stark vibrierenden Dakota-Maschine und hörten nichts anderes mehr als die Motoren. Wir warteten vor der offenen Tür ins Nichts, durch die ein furchtbarer Luftzug und der Lärm der Propeller hereindrang, und man alle möglichen Grünschattierungen unter uns hergleiten sah. Und auf ein Kommando hin sprangen wir einer nach dem anderen über dem Feind ab, wir sprangen mit geschürzten Lippen, blitzenden Zähnen, ausgestreckten Krallen und roten Augen direkt auf seinen Rücken. Wir stürzten uns in das grässliche Gemenge, hechteten auf ihn nach einem schnellen Flug und einem Absprung, bei dem wir nur noch ein bloßer Körper in der Leere waren, mit zitternden Wangen, vor Angst verkrampftem Magen und dem Verlangen, uns zu schlagen.
    Es war keine Kleinigkeit, Fallschirmjäger zu sein. Wir waren die Athleten, die Hopliten, die Berserker. Wir durften nicht schlafen, mussten nachts abspringen, tagelang marschieren, rennen, ohne je nachzulassen, kämpfen, furchtbar schwere Waffen tragen, sie stets sauber halten, und immer genug Kraftreserven besitzen, um einen Dolch in einen Bauch zu stechen oder einen Verwundeten zu tragen, der nicht mehr laufen konnte.
    Wir gingen mit einem Paket aus

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