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Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Titel: Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexis Jenni
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nichts anderes, als mich nach ihr umzudrehen. Ich unternahm nichts, sprach sie nicht an. Ich folgte ihr nie. Ich löschte mit der Geschicklichkeit eines Zensors das Gesicht der Männer aus meinem Gedächtnis, die sie manchmal begleiteten. Sie wechselten, glaube ich; ich erfuhr nichts über ihre Beziehungen. Als ich nach Lyon zurückkehrte, nachdem ich ein neues Leben begonnen hatte, begegnete ich ihr erneut, sie lief durch dieselben Straßen, auf denen ich ihr so oft begegnet war, allgegenwärtig wie der Geist des Ortes.
    Es gibt Menschen, die sich sagen, was geschehen muss, muss geschehen, aber ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Dabei hatte sich mir die Gelegenheit so oft geboten, mit solchem Nachdruck und solcher Beständigkeit, und ich war nie darauf eingegangen, hatte sie nie ergriffen, doch nun wollte ich mit ihr reden. Ich hatte mich in ein großes, fast leeres Café gesetzt, und sie saß ein paar Tische weiter, worüber ich mich nicht einmal wunderte. Ein Mann redete auf sie ein, und sie hörte mit belustigter Distanz zu. Er ging ganz plötzlich weg, verletzt oder empört, dennoch gab sie ihr leichtes Lächeln nicht auf, das sie so strahlend aussehen ließ, sie war sich dieser Ausstrahlung bewusst und nahm sie amüsiert zur Kenntnis. Ich war erleichtert, als ich den Mann weggehen sah. Nun waren wir allein in diesem Café, niemand außer uns befand sich mehr dort, wir saßen in einiger Entfernung voneinander auf Sitzbänken, hinter denen sich Spiegel befanden, und waren dankbar für die Stille, die endlich wieder eingetreten war. Wir blickten beide diesem Mann nach, der mit zornigen Bewegungen davonging, und als er das Café verlassen hatte und wir allein in dem leeren Raum waren, in dem die Spiegel unser Bild mehrfach zurückwarfen, blickten wir uns an und lächelten uns zu. In dem Café war Platz für etwa fünfzig Personen und wir waren nur zu zweit, draußen war es dunkel, wir sahen nichts bis auf das orangefarbene Licht der Straßenlaternen und Silhouetten, die mit eiligen Schritten vorübergingen; ich stand auf und setzte mich ihr gegenüber. Sie behielt dieses schöne Lächeln auf ihren vollen Lippen und wartete darauf, dass ich etwas zu ihr sagte.
    »Wissen Sie«, begann ich, ohne zu wissen, was ich sagen sollte. »Wissen Sie, dass ich schon seit Jahren so etwas wie ein Verhältnis mit Ihnen habe?«
    »Ohne dass ich etwas davon weiß?«
    »Ich erinnere mich an alles. Darf ich Ihnen von dem Leben erzählen, das wir gemeinsam führen?«
    »Erzählen Sie. Ich sage Ihnen anschließend, ob mir dieses Leben gefällt, in dem ich nicht vorkomme.«
    »Sie kommen vor.«
    »Ohne es zu wissen.«
    »Weiß man immer, was man tut? Was man weiß und was man kennt, sind nur wenige Bäume, die die Lichtung in dem dunklen Wald säumen. Was wir tatsächlich erleben, geht immer weit darüber hinaus.«
    »Erzählen Sie.«
    »Ich weiß nicht, womit ich beginnen soll. Ich habe mich noch nie jemandem auf diese Weise genähert. Ich habe auch noch nie mit jemandem so lange zusammengelebt, ohne dass er davon weiß. Ich habe immer darauf gewartet, dass irgendetwas, auf das ich keinen Einfluss habe, eine Verbindung zwischen mir und jener Person herstellt, die ich begehre, also dass irgendetwas, das ohne mein Zutun existiert, mir erlaubt, die Hand jener Person zu ergreifen, die ich gern begleiten möchte. Aber ich weiß nichts über Sie, wir begegnen uns zufällig, und das erleichtert mich außerordentlich. Dieser sich wiederholende Zufall schafft eine Geschichte. Ab wie vielen Begegnungen beginnt eine Geschichte? Ich muss sie Ihnen erzählen.«
    Ich erzählte ihr diese Begegnungen, ich begann mit der ersten, bei der mich ihre Farbe bezaubert hatte. Sie hörte mir zu. Sie nannte mir ihren Namen. Sie erlaubte mir, sie wiederzusehen. Sie küsste mich auf die Wangen und schenkte mir dabei ein Lächeln, das mich schmelzen ließ. Ich ging heim. Ich nahm mir vor, ihr zu schreiben.
    Ich rannte fast nach Hause. Ich lief die Treppe hinauf, die mir viel zu lang vorkam. Ich mühte mich mit dem Türschloss ab, das sich nicht öffnen ließ. Meine Schlüssel fielen auf den Boden. Ich zitterte vor Erregung. Schließlich gelang es mir, die Tür zu öffnen, ich schlug sie hinter mir zu, riss mir die Jacke vom Leib, schleuderte die Schuhe von mir und setzte mich an den Holztisch, der mir für alles Mögliche diente und von dem ich wusste, dass er mir eines Tages zum Schreiben dienen würde. Endlich machte ich mich daran, ihr zu schreiben. Ich

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