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Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Titel: Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexis Jenni
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über dem Hafen kann man das Meer und den Horizont betrachten. Aber wenn man weiter will, braucht man ein Schiff, braucht man ein Ticket, braucht man ein abgestempeltes Papier.
    Victorien Salagnon wartete tagelang darauf, dass sein Schiff auslief. Wenn er das Meer betrachtete, spürte er hinter seinem Rücken die Bürde des ganzen Landes, die auf seinen Schultern lastete. Die lärmende, blutige Masse Algiers dröhnte hinter ihm, glitt wie ein Eisberg bis ins Wasser hinab, er konzentrierte sich auf das Meer und den flachen Horizont, den er überqueren wollte; er wollte fort.
    Im Morgengrauen des letzten Sommers, trafen ein paar Fallschirmjäger der Kolonialarmee in einem Jeep auf dem Boulevard de la République ein, oberhalb des Hafens. Dieser Boulevard wird nur von einer Fassade gesäumt, auf der anderen Seite befindet sich das Meer. Sie hielten, stiegen aus dem Jeep, reckten sich, gingen mit ruhigen Schritten bis zur Balustrade und stützten sich mit den Ellbogen auf die Mauer. Sie betrachteten das graue Meer, das gerade einen rötlichen Schimmer bekam.
    Wenn ein Jeep mit Männern in getigertem Kampfanzug irgendwo auf dem Bürgersteig hält, entfernt man sich; sie springen aus dem Fahrzeug, rennen los, stürmen in ein Haus, eilen die Treppe in großen Sprüngen hinauf, treten die Türen ein und rennen die Treppe mit Typen hinunter, die sich bemühen ihnen zu folgen, ohne zu stolpern. Aber an jenem Tag im Morgengrauen, im letzten Sommer, den sie dort verbrachten, stiegen die Männer ohne Hast aus dem Fahrzeug und reckten sich. Die fünf Fallschirmjäger der Kolonialarmee im getigerten Kampfanzug mit aufgekrempelten Ärmeln hatten die Hände in die Taschen gesteckt, und ihre Bewegungen waren langsam, als wäre jeder von ihnen allein; sie gingen mit lässigen, müden Schritten über die Straße und sagten keinen Ton. Sie liefen bis zur Balustrade über dem Hafen und stützten sich ein paar Meter voneinander entfernt mit den Ellbogen auf die Mauer. Dichter Rauch hing über den Straßen. Ab und zu ließ eine Explosion die Luft erzittern und Scheiben fielen mit hellem Geräusch auf den Boden. Prasselnde Flammen schlugen aus den zertrümmerten Fenstern mehrerer Gebäude. Die Männer betrachteten das sich rötlich färbende Meer.
    Auf die Mauer gelehnt genossen sie die Frische, die nur morgens herrscht, blickten unbestimmt in die Ferne, träumten stumm davon, möglichst schnell jenseits des Horizonts zu sein, sie waren müde bis in die letzten Fasern ihres Inneren, wie nach einer langen schlaflosen Nacht, mehreren schlaflosen Nächten, jahrelangen schlaflosen Nächten, waren furchtbar deprimiert angesichts der verwüsteten Stadt Algier.
    All das hatte nichts genützt. Das Blut hatte nichts genützt. Es war umsonst vergossen worden, und nun floss es unaufhaltsam weiter, das Blut stürzte in Kaskaden die abschüssigen Straßen Algiers hinab, Ströme von Blut ergossen sich ins Meer und breiteten sich in faulenden Schwaden aus. Morgens, sobald es hell wurde, färbte sich das Meer rötlich. Die Fallschirmjäger der Kolonialarmee, die sich mit den Ellbogen auf die Balustrade über dem Hafen gestützt hatten, sahen zu, wie es sich rot färbte, verdunkelte, zu einer riesigen Blutlache wurde. Hinter ihnen schlugen prasselnde Flammen aus den Fenstern aller Gebäude, die während der Nacht zerstört worden waren, schwarzer Rauch kroch durch die Straßen, und von überall her ertönten Schreie, der Lärm roher Leidenschaften, Hass, Wut, Angst, Schmerz, und das Heulen von Sirenen irgendwo in der Stadt, die Sirenen der letzten Notdienste, die wie durch ein Wunder noch im Einsatz waren, warum, wusste niemand. Dann ging die Sonne richtig auf, das Meer wurde blau, die Hitze setzte ein, die Fallschirmjäger der Kolonialarmee gingen wieder zu ihrem auf dem Bürgersteig geparkten Jeep, von dem sich die Passanten ängstlich fernhielten. Die Männer bereuten nichts, wussten aber nicht, wem sie das hätten sagen sollen. All das hatte nichts genützt.
    Schließlich fuhren sie auf einem großen Schiff ab. Sie hatten ihr Gepäck gepackt, alles in einem zylinderförmigen Seesack verstaut, der nicht sehr praktisch, aber leicht zu tragen war, und hatten die Stadt auf Lastwagen durchquert, hinter Planen verborgen, die sie kaum etwas sehen ließen. Sie zogen es vor, nicht allzu viel zu sehen. Algier brannte; die Wände zerbröckelten vom Einschlag der Geschosse; auf den Bürgersteigen sammelten sich Pfützen von geronnenem Blut. Autos standen mit offenen

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