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Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Titel: Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexis Jenni
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denn Menschen, die am anderen Ende der Welt geboren wurden, konnten dazugehören. Was bedeutet es, Franzose zu sein? Zunächst einmal, der Wunsch es zu sein, und dann die Narration dieses Wunsches auf Französisch, eine vollständige Erzählung, die nichts von dem verbirgt, was geschehen ist, weder das Grauen noch das Leben, das trotzdem zustande kam.«
    »Der Wunsch?«, sagte Salagnon. »Das sollte genügen?«
    »Das hat Ihnen doch völlig genügt. Nur der Wunsch bringt die Menschen einander näher. Und alle schwarzen Schleier, die ihn verhüllen, sind hassenswert.«
    Mein Herz blickte mich an, während ich sprach, ich wusste, dass sie mich die ganze Zeit ansah, während ich sprach, und als ich verstummte, wandte ich mich daher langsam ihr zu und sah die drei intensiven Schimmer in einer Wolke aus Schwanenflaum, ich sah ihre Augen, die im Abendlicht funkelten, und ihre vollen Lippen, die mir zulächelten. Ich legte meine Hand auf die ihre, die mir entgegenkam, und unsere beiden Hände, die so gut zueinander passten, drückten sich gegenseitig und hielten einander fest, ohne sich loszulassen.
    Schließlich standen wir auf, verabschiedeten uns liebevoll von Victorien und Euridice, die uns bei sich zu Hause empfangen hatten, und gingen. Sie geleiteten uns zur Tür, blieben oben auf den drei Stufen stehen, unter dem Glasvordach, das im Abendlich ganz rot schimmerte. Während wir durch den trockenen Vorgarten gingen, in dem nicht viel wuchs, sahen uns die beiden lächelnd nach, er hatte ihr den Arm um die Schultern gelegt, sie schmiegte sich an ihn. Als ich das Gartentor öffnete, um hinauszugehen, wandte ich mich um, um ihnen zuzuwinken, und sah wie Euridice lächelnd an seine Schulter gelehnt über all das weinte, was wir gesagt hatten.
    Wir kehrten heim; wir fuhren mit dem Bus nach Westen, durchquerten erneut Voracieux-les-Bredins, aber diesmal in der richtigen Richtung, auf die Stadt zu, dem Stadtzentrum entgegen. Die Sonne ging am Ende der Avenue unter, genau in der Verlängerung der Schneise aus Beton, auf der es von Autos, Lastwagen und Bussen wimmelte, die alle langsam fuhren, alle stanken, alle lärmten, alle Rauchwolken ausstießen und heiße, schmutzige kupferfarbene Schwaden zerstäubten. Lyon ist nicht sehr groß, aber wir leben dort zu vielen auf engem Raum in einem ständig köchelnden Schmelztiegel, in dem sich die Menschenmassen bewegen wie organische Ströme, sich in den Straßen ausbreiten, sich um die Metroeingänge ringeln, die sie in sehr elastischen, langsamen Wirbeln in sich aufnehmen. Wir haben das Glück, über einen großen Schmelztiegel zu verfügen, in dem sich alles vermischt. Die Leute, die unseren Bus benutzten, stiegen ein und aus, und wenn ich es wage, ein Possessivpronomen für dieses Verkehrsmittel zu verwenden, dann nur, weil wir ein paar Haltestellen zuvor in dem Bus Platz genommen hatten. Die Leute sind so zahlreich, obwohl Lyon nicht sehr groß ist, und wir sind dicht gedrängt in diesem Bus, der holpernd über die schmutzige kupferfarbene Avenue fährt, wir haben denselben vibrierenden Boden unter den Füßen, wir atmen dieselbe heiße Luft ein, Schulter an Schulter, und in jedem von uns in dieser Blechkiste, die uns befördert, im Schritttempo über die nach Westen führende Avenue fährt und langsam die blendende kupferfarbene Wolke durchquert, in jedem von uns vibriert stumm die Sprache in der dem Französischen eigenen Tonalität. Ich kann jeden mühelos verstehen, ich erfasse den Sinn seiner Worte, schon ehe ich diese identifiziert habe. Wir sind eng aneinander gedrängt, und ich verstehe sie alle.
    Es war heiß in dem Bus, der Richtung Westen fuhr, eingehüllt in Gase, die die letzten Sonnenstrahlen wie rotes Kupfer aufleuchten ließen; wir hatten beide einen Sitzplatz, mein Herz und ich, denn wir waren vor den anderen eingestiegen, wir saßen gemeinsam mit all den anderen, die ein- und ausstiegen und dasselbe Transportmittel benutzten wie wir, in dem Kupferkessel, wir waren alle in dem städtischen Schmelztiegel, der an den Ufern der Rhône und der Saône aufgestellt worden war, wir hatten Glück, dass er dort aufgestellt worden war, denn in ihm wird Reichtum geschaffen, unendlicher Reichtum, der aus dem magischen Kessel kommt, ein Kessel, der nie geleert wird und aus dem mehr hervorkommt, als man hineintut; in ihm verschmilzt alles miteinander, alles wird neu geschaffen, wir verschmelzen miteinander, die kostbare Suppe köchelt und verändert sich, immer unterschiedlich,

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