Die Frau am Tor (German Edition)
Valium. Im Grunde habe ich nämlich auch davor Angst, ich meine, vor diesem Zeug. Verrückt, nicht?”
Sein Verstand flüsterte ihm mahnend zu, ebenfalls beim Wasser zu bleiben, wie die Jahre zuvor, abgesehen von jenem einen Abend vor knapp einer Woche. Doch was würde es schon schaden, wenn er sich jetzt ein, zwei Glas genehmigte?, lockte eine andere Stimme in ihm. Anschließend würde er sich selbstverständlich wieder strikt an sein selbstauferlegtes Abstinenzgebot halten.
Er bat sie, ihm einen Rotwein zu bringen.
Nachdem sie das Essen und die Getränke auf den Tisch gestellt hatte, nahm sie ihm gegenüber Platz und blickte ihn versonnen an.
“ Du glaubst gar nicht, wie froh ich bin, dass du hier bist. Es ist nicht nur wegen meiner Angst, allein zu sein. Ich habe ja auch sonst niemanden, mit dem ich über diese...diese Geschichte reden könnte. Selbst wenn ich wollte, was ja ohnehin unmöglich ist.”
“ Was ist eigentlich mit deinen Eltern?”, fiel ihm ein.
“ Ach, die wohnen gar nicht hier in Berin. Sie haben sich zurückgezogen, in den Süden, nach Portugal. Sie haben sich eine Finca in der Algarve zugelegt. Sie sind ziemlich wohlhabend, musst du wissen. Mein Vater besaß eine Firma, die er vor ein paar Jahren für viel Geld verkauft hat”. Sie machte eine kleine Pause. “Aber sie sind nicht meine leiblichen Eltern. Ich wurde adoptiert, als ich noch ein Baby war. Meine richtigen Eltern habe ich nie kennengelernt.”
“ Und...wolltest du denn nie wissen, wer sie sind?”
“ Nein, nie, niemals”, sagte sie entschieden. “Bitte ein anderes Thema. Erzähl mir lieber mal ein bisschen was von dir. Du musst ein sehr aufregendes Leben haben.”
“ Nicht mehr. Das liegt alles lange hinter mir. Inzwischen ist es sehr konventionell, fast ein bisschen langweilig – jedenfalls war es das bis vor einigen Tagen.”
Das sollte ironisch klingen, aber er zweifelte sofort, dass das so bei ihr ankam.
Er hatte das erste Glas Wein in zwei großen Schlucken geleert und spürte die Wirkung. Er schüttete sich ein zweites ein, um sie zu verstärken, und überhörte die innere Stimme, die ihn warnte, dass es besser sei, wenn er sich zurückhalte.
“ Darf ich dich mal was fragen, so als Reporter?”, fuhr er fort, als sie nicht weiter nachsetzte, es war ein plötzlich Impuls. “Wie fühlt man sich eigentlich, wenn man jemanden erstochen hat. Ich meine, wie kommst du damit zurecht?”
Ihre Miene erstarrte. Sie blickte ihn wieder genau so an wie in jener Nacht in jenem Moment, als er ihr empfohlen hatte, das Geld aus der Brieftasche des Toten für einen wohltätigen Zweck zu spenden, wund wie ein angeschossenes Tier.
“ Bitte...bitte nicht”, stieß sie hervor und er befürchtete schon, sie würde in Tränen ausbrechen, aber das tat sie dann doch nicht. Sie wischte sich nur mit dem Handrücken über die Augen und wirkte rasch wieder gefasst, doch es tat ihm sofort leid, dass er das gefragt hatte.
Unvermittelt stand sie auf, holte sich aus der Vitrine ein Glas und sagte:
“ Ich werde mir jetzt doch mal einen Schluck gönnen, es wird ja wohl inzwischen nicht mehr so wild sein wegen dieser blöden Tabletten.”
Sie tranken und sagten beide nichts. Sie war es, die das Schweigen durchbrach.
“ Weißt du, da war heute etwas, bei der Polizei, was ich dir eigentlich nicht sagen wollte, aber ich sage es dir jetzt doch.” Sie fixierte ihn mit ihren dunklen Augen. “Wenn sie weiter nachgebohrt hätten, wegen meines Alibis meine ich, also wenn sie mir nicht geglaubt hätten, dass ich allein zu Hause war, weißt du, was ich dann gesagt hätte?”
“ Sag's mir.”
“ Ich hätte denen gesagt, dass ich bei dir war oder du bei mir warst, jedenfalls, dass wir beide zusammen waren.”
“ So, das hättest du?” Er versuchte den Missmut niederzuhalten, der in ihm hoch schoss.
“ Ja, ich hätte es so dargestellt, dass wir eine heimliche Affäre haben, dass ich das aber nicht gleich gesagt hätte, aus Rücksicht auf deine Freundin und meinen Mann. Und ich hätte sie gebeten, das Ganze diskret zu handhaben.”
“ Ich finde das alles andere als lustig”, sagte er hart.
“ Nun komm, sei deshalb nicht sauer. Es ist ja nicht so weit gekommen, es war ja auch nur so eine Überlegung von mir, eine Option. Ich hatte es mir nur vorsichtshalber so zurechtgelegt, für alle Fälle.”
Er hätte seinen Ärger gern weggewischt, doch der erwies sich als hartnäckig, was ihr nicht verborgen blieb. Sie stand auf und kam um den
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