Die Frau am Tor (German Edition)
setzte er an, “ich glaube, wir müssen etwas Grundsätzliches klären.”
“ So? Müssen wir? Ich finde, wir müssen gar nicht dauernd reden”, sagte sie und blickte ihn intensiv an. “Wir sollten es einfach genießen, zusammen zu sein. Ich muss immer noch an letzte Nacht denken. Es war so schön, wunderschön. Schau mal, was du gemacht hast.”
Sie zog das Tuch weg und deutete auf zwei verfärbte Stellen an ihrem Hals.
“ Richtige Knutschflecken. Ich muss mir noch etwas einfallen lassen, um sie zu überdecken, damit mein Mann nichts merkt.”
“ Hör mal, Julia, bitte”, probierte er es erneut, während die Bilder und Empfindungen der Nacht kurz aufblitzten, ohne dass er sich konkret an das Beibringen der Knutschflecken erinnern konnte. “Es tut mir leid, wirklich, aber ich kann gleich nicht mit zu dir kommen, es geht nicht. Ich habe zu tun.”
“ Wie bitte, was kannst du nicht? Du schläfst mit mir, und dann hast du nicht mal mehr Zeit, um ein bisschen mit mir zusammen zu sein?”
Sie sprach jetzt so laut, ja regelrecht keifend, dass die Leute an einem der anderen Tisch die Köpfe reckten.
“ Julia, bitte, bleib ruhig, nun lass uns doch vernünftig sein! Lass uns wie zwei vernünftige erwachsene Menschen miteinander reden“, beschwor er sie erneut.
“ Vernünftig und ruhig, Julia sei vernünftig und ruhig”, äffte sie ihn mit hysterischem Timbre nach. “Du hast zu tun – dass ich nicht lache. Meinst du etwa, ich wüsste nicht, dass es den berühmten Reporter Robert Kessler gar nicht mehr gibt? Dass er aufgehört hat zu schreiben? Glaubst du vielleicht, die kleine Julia wäre zu blöd, um zu googeln und zu wissen, dass du gar nichts mehr zu tun haben kannst? Du willst mich doch nur loswerden!”
Er merkte, wie ihm der Schweiß ausbrach, obwohl es an diesem Morgen immer noch angenehm kühl war. Plötzlich sprang sie auf, stürmte zu ihrem Wagen, rangierte mit aufheulendem Motor aus der Parklücke und war fort, noch eher er wusste, wie ihm geschah. Er blieb noch einige Minuten sitzen, dann bezahlte er die gemeinsame Rechnung, winkte anschließend am Straßenrand nach einem Taxi und ließ sich nach Hause bringen.
Er schaltete sein Handy ab, legte es auf den Schreibtisch, packte sein Sportzeug zusammen und fuhr ins Fitnessstudio. Fast anderthalb Stunden trainierte er an den Geräten und Hanteln und auf dem Crosstrainer, eine weitere halbe Stunde verbrachte er in der Sauna. Die systematische körperliche Anstrengung mitsamt dem unausweichlichen Schwitzen, dieses zweifellos ein bisschen masochistisch gefärbte Vergnügen daran, sich auszupowern, hatte ihm schon oft geholfen, wenn es mit seiner mentalen Verfassung nicht zum besten stand. Es verschaffte ihm zumindest die Suggestion, nach dem zurückbleibenden Gefühl der Leere lasse sich leichter eine neue Ordnung in seinem Kopf herstellen. Diesmal hatte die Prozedur allerdings auch etwas von einer Selbstbestrafung, das war ihm selbst durchaus klar, auch wenn es ihm ihn erster Linie darum ging, dem eklatanten Bruch seiner alltäglichen Gewohnheiten, den die Begegnung mit dieser Frau namens Julia Gerlach bewirkt hatte, etwas entgegenzusetzen.
Als er wieder nach Hause kam, zögerte er zunächst, seine Mailbox abzuhören, tat es dann aber doch und atmete erleichtert auf, als er keine Nachricht vorfand. Er bereitete sich betont sorgfältig ein Müsli mit Nüssen, Äpfel und Bananen zu, verzehrte es, ganz bewusst langsam kauend und strikt darauf bedacht, sich nur auf das Essen zu konzentrieren, und rief dann bei der “Realfilm” an, um sich bei Evas Sekretärin zu erkundigen, wie lange sie am Abend voraussichtlich arbeiten würde. Sie sagte, laut dem Terminkalender werde es vermutlich 19 Uhr werden.
Er ruhte sich eine Stunde aus, zog sich um, packte dann Wäsche zum Wechseln in eine kleine Reisetasche und fuhr nach Potsdam. Sein Handy nahm er nicht mit. Den Nachmittag brachte er mit einem ausgedehnten Spaziergang im Park des Schlosses Sanssouci zu und empfand es als Wohltat, hier zu sein, in sicherem Abstand von den Tagen, die hinter ihm lagen.
11.
“ Na, das ist aber eine Überraschung!” Eva schien nicht nur verwundert, sondern geradezu gerührt zu sein, ihn im Vorzimmer ihres Büros anzutreffen, wo er auf sie gewartet hatte.
Es war noch nie vorgekommen, dass er sie von der Arbeit abgeholt hatte. Wenn er sonst bei ihr in Potsdam war, dann immer nur, nachdem sie es zuvor vereinbart hatten. Den Gedanken, ihr Blumen mitzubringen, hatte er
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