Die Frau am Tor (German Edition)
Liebhaberin erwiesen, weit kundiger und leidenschaftlicher als Eva und auch als die meisten anderen Frauen, mit denen er je zu tun gehabt hatte.
Doch irgendetwas hatte ihn gestört.
Der Gedanke an Eva war es noch am wenigsten gewesen, denn die Frage der Treue hatte zwischen ihnen noch nie eine große Rolle gespielt. Von Anfang an hatte festgestanden, dass jeder dem anderen gewisse Freiräume gestattete, über die nicht gesprochen wurde, weil sie beide der Ansicht waren, dass sie als erwachsene, moderne, tolerante Menschen, die jeder schon ein eigenes Leben gelebt hatten, einander nicht durch kaum einhaltbare Versprechungen zusätzliche Probleme bereiten sollten.
Dennoch war, wenn auch unausgesprochen, abgemacht, dass keiner den anderen leichtfertig verletzen würde, und zumindest was ihn betraf, so konnte er von sich sagen, dass er sich nie etwas hatte zu Schulden kommen lassen, was sie ihm ernsthaft hätte vorwerfen können. Und für ihn kam es schon deshalb nicht in Frage, sich nebenher auf irgendetwas einzulassen, weil er der Ansicht war, dass es nicht zu ihm und seinen Grundsätzen passte, auch wenn diese sich nicht immer an der herkömmlichen Moral orientierten.
Dass ihm ein schaler, verstörender Nachgeschmack geblieben war, hing jedoch weniger hiermit, sondern eher damit zusammen, dass er sich nicht vollends von dem Bewusstsein hatte lösen können, dass die Hände, die ihn streichelten, umschmeichelten und erregten, die Hände einer Frau waren, die jemanden umgebracht hatte. Irgendwann, zwischendurch, hatte sie mit einer Art Gurren gemeint: “Jetzt stecken wir richtig unter einer Decke, nicht nur im übertragenen Sinne”, was ihn kurz hatte zusammenzucken lassen.
Vor allem hatte er die ganze Zeit, mal stärker, mal schwächer, das untergründige Gefühl gehabt, dass sie sich selbst überhaupt nicht im Klaren darüber war, was mit ihr vorging, was sie letztlich wollte, warum sie tat, was sie wahrscheinlich nur tun zu wollen meinte, ohne es wirklich zu wissen. Sie hatte etwas völlig Haltloses, Schutzloses an sich, auch wenn es zweifellos noch eine andere Seite gab, mit der sie eine durchaus vorhandene Fähigkeit zum Kalkül und zum Berechnenden zu erkennen gab. Doch diese Ungeschütztheit hatte ihn für sein Empfinden in die Rolle desjenigen gerückt, der etwas ausgenutzt hatte, das er besser nicht hätte ausnützen sollen. Das machte ihm nachträglich ein ungutes Gewissen.
Und zusätzlich kompliziert wurde alles dadurch, dass sie obendrein – Kalkül hin oder her – völlig unberechenbar blieb. Die Tatsache, dass sie ihn nicht nur anrief und zu sich bestellte, wie und wann es ihr gerade passte, sondern ihm jetzt auch noch vor dem Haus auflauerte, machte das nur zu deutlich.
Er ging hinunter und hinaus und weg und zwang sich, nicht zu ihrem Wagen herüberzusehen. Nach hundert Metern war sie neben ihm, stoppte scharf und ließ die Scheibe herunter.
“ Na, ist der Sicherheitsabstand jetzt groß genug?”, fragte sie spöttisch. “Nun komm, hab dich nicht so, steig schon ein.”
Am liebsten wäre er weitergegangen, aber er befürchtete, sie würde auf offener Straße eine Szene machen. Als er neben ihr saß, fiel sie ihm um den Hals, küsste ihn und verkündete, sie habe beschlossen, ihm nicht mehr böse zu sein.
“ Bitte, fahr los”, sagte er. Sie fuhr so heftig an, dass die Reifen durchdrehten.
“ Ich habe mir gedacht, dass wir erst in ein Café gehen, um zu frühstücken, und dass du danach noch ein bisschen mit zu mir kommst”, erklärte sie ihm. “Wir müssen die Zeit nutzen, bis Frank, bis mein Mann heute Abend zurück kommt. Morgen sieht es schlecht bei mir aus. Freitags kommt er meistens früher, und du bist doch auch übers Wochenende wieder mit deiner Freundin zusammen, oder?”
Er nickte nur. Sie war in Jeans und einer naturweißen Leinenjacke und trug eine Sonnenbrille, obschon der Himmel leicht verhangen war. Um den Hals hatte sie sich ein buntes Tuch geschlungen. Sie fuhr Richtung Innenstadt und sie fuhr die ganze Zeit viel zu schnell. Ihm war mulmig, aber nicht nur deswegen. Er überlegte krampfhaft, wie er ihr beibringen könnte, dass es so nicht weiterging. Er hatte es schon viel zu weit kommen lassen
An einem Straßencafé im Schöneberger Kiez hielt sie an.
Sie frühstückte ausgiebig, er hatte keinen Appetit und begnügte sich mit Kaffee und einer Scheibe Toast. Als sie sich danach eine Zigarette anzündete und ihm ebenfalls eine anbot, lehnte er ab.
“ Hör mal”,
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