Die Frau am Tor (German Edition)
dann mochte passieren, was da wollte. Falls es wirklich hart auf hart kommen sollte, konnte er immer noch sagen, dass sie ihm einfach Leid getan habe. Schließlich war sie knapp einer Vergewaltigung entgangen und hatte in Notwehr gehandelt. So schlimm würde es im Zweifelsfall schon nicht sein, bei der Beseitigung eines toten Mannes geholfen zu haben, der ein Gewalttäter gewesen war. Immerhin war er, Robert Kessler, bisher ein unbescholtener Bürger, zumindest im Sinne der deutschen Gesetze, er war nicht irgendwer, sondern ein gut situierter Mann, der auf die sechzig zuging und ein gewisses Renommee vorzuweisen hatte..
Er würde jetzt auch nicht sofort zu ihr gehen, ganz bestimmt nicht. Erst einmal wollte er zu Hause in Ruhe duschen, rasieren und sich umziehen – und das auch nicht ihretwegen, sondern um seiner selbst willen. Es war ihm einfach zuwider, derart ungepflegt herumzulaufen. Er schämte sich nachträglich, Eva so, in diesem Aufzug, gegenübergetreten zu sein.
Er ließ sich absichtlich viel Zeit zu Hause, und auch den Weg zur Kolbestraße legte er gemächlich zurück. Sollte sie doch warten. Sie würde sich ohnehin noch wundern, wenn er ihr ein paar deutliche Worte sagen würde.
Aber als sie dann vor ihm stand, in der Diele, sah er seine Vorsätze sofort ins Wanken geraten und die Entschlossenheit schwinden. Er konnte es selbst nicht fassen, wie schnell er schwach wurde. Sie war immer noch blass und sah ziemlich müde aus, aber nicht mehr so müde wie vorhin, und ihre Artikulation war auch nicht mehr so unnatürlich verzögert und unklar. Statt ihres Businesskostüms hatte sie jetzt ein knielanges, zartgeblümtes Sommerkleid an, dessen Rock um ihre Beine schwang.
“ Ach, ich bin so froh, dass du endlich da bist”, begrüßte sie ihn und drückte leicht seinen Arm. “Wir sagen doch jetzt Du, oder? Eben am Telefon hast du es schließlich schon getan, und ich fand diese Siezerei, ehrlich gesagt, sowieso ziemlich albern, nach all dem, was wir.....”
“ Sag mal, woher hast du denn eigentlich meine Handynummer?”, fiel er ihr ins Wort, jedoch nicht streng, wie er ursprünglich vorgehabt hatte, sondern im Ton freundlicher Neugier, und er verkniff sich sogar den Hinweis darauf, dass er das Du am Telefon lediglich benutzt hatte, um gegenüber seiner Freundin ein Gespräch mit einem angeblichen Kollegen zu fingieren. Sein Widerstand war jetzt völlig zusammengebrochen.
“ Oh, ich hoffe, du bist deswegen nicht sauer”, sagte sie mit einem unschuldig-verschmitzten Kichern. “Die habe ich mir besorgt – vorgestern Mittag, als du hier warst und dein Sakko hier über dem Stuhl lag, während du auf der Toilette warst. Dein Handy war eingeschaltet, und ich habe damit ganz schnell meine eigene Nummer angerufen. Du konntest das nicht hören, weil das Bad zu weit weg ist. Aber es war ziemlich knapp, fast hättest du mich erwischt. Schlimm?”
Er zuckte hilflos die Achseln.
“ Na ja, vergessen wir das. Du solltest so etwas aber nicht wieder tun, mich einfach auf dem Handy anrufen. Das bringt mich nur in missliche Situationen. Aber jetzt sag mal, was gibt es denn so Wichtiges, weswegen du mich unbedingt nochmal sprechen wolltest?”
“ Komm, wir setzen uns erstmal”, sagte sie und bat ihn in das gemütlichere der beiden Wohnzimmer, wo die Rollläden halb heruntergelassen waren. Sie hatte den Esstisch für zwei Personen gedeckt und eine Kerze angezündet.
“ Ich dachte mir, dass wir diesen Tag ein bisschen feiern sollten. Außerdem habe ich mich noch gar nicht richtig bei dir bedankt. Leider hatte ich keine Zeit mehr, etwas Besonderes zu kochen, und habe deshalb nur einen Salat mit Thunfisch und Baguette anzubieten, und natürlich Wein, wenn du magst. Die Tabletten haben mich so müde gemacht, dass ich einen Liter Kaffee brauchte, um einigermaßen wieder in die Gänge zu kommen.”
“ Wie, und das war der einzige Grund, weshalb ich unbedingt kommen sollte?”, fragte er fassungslos und sie nickte verlegen.
Er schüttelte den Kopf, wusste nicht, ob er eher verärgert oder erleichtert sein sollte und entschied sich dann für Letzteres. Es war ein weiteres Mal diese fast schon vertraute Art von Kapitulation vor der Erkenntnis, dass sie etwas an sich hatte, gegen das er alles andere als immun war und das in ihm eine zutiefst verwirrende Mischung aus Abwehr, Sympathie, diffuser Erregung und noch etwas anderem, schwer Benennbaren auslöste.
“ Möchtest du Wein? Ich nehme lieber nur Wasser nach dem vielen
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