Die Frau am Tor (German Edition)
umklammert hielt, so fest, dass ihre Knöchel weiß wurden – und dann unvermittelt einen Laut der Erleichterung ausstieß.
“ Ach, du bist es, Frank.”
“ Ja, ich, stell dir mal vor, dein eigener Mann. Ich hätte gar nicht gedacht, dass ich mit einem Anruf noch derartige Emotionen bei dir auslösen kann.”
Es war eine angenehme, kultivierte Stimme, und die dezente Ironie hatte nichts Verletzendes.
“ Es war nur...ich dachte....ach, schon gut, vergiss es.”
“ Hattest du wieder einen dieser...deiner Zustände? Ich dachte, es sei damit besser geworden, denn immerhin bist du ja.....ich meine, sie sagten mir.....”
“ Ach, es geht schon, es geht mir ganz gut,“ fiel sie ihm, indem sie sich unvermittelt abwandte, ins Wort, sodass er seinen Satz nicht zu Ende bringen konnte und das, was er sagte, nicht zu verstehen war.
„ Weshalb ich eigentlich anrufe“, setzte er erneut an, „du, es
tut mir leid, aber ich kann hier vorläufig nicht weg. Tut mir leid. Momentan lässt sich überhaupt nicht absehen, wann ich nach Hause komme. Wir haben da einen neuen, äußerst wichtigen Kunden, der bei Laune gehalten werden muss, du verstehst. Und es kann sein, dass sich daraus noch anderes ergibt, das mehr Zeit braucht, als ich gedacht hatte. Also rechne vorerst nicht mit mir. Ich melde mich wieder, sobald ich klarer sehe, ja?”
“ Ja, ich verstehe”, antwortete sie mit schwacher Stimme, und nachdem sie aufgelegt hatte, brach sie in Tränen aus.
“ Ich bin eigentlich nicht hierher gekommen, um mir anzuhören, wie du mit deinem Mann telefonierst”, bemerkte Kessler trocken, auch um seine Verlegenheit zu überspielen. Er kam sich wie ein unfreiwilliger akustischer Voyeur vor und fragte sich, weshalb sie nicht die Mithörfunktion ausgeschaltet hatte; na, wahrscheinlich hatte sie in ihrer Aufregung nicht daran gedacht.
Zugleich war ihm, als schwinge von dem Gespräch irgendetwas in seinem Unterbewusstsein nach, das er nicht genau einzuordnen wusste.
“ Entschuldige, entschuldige vielmals“, verteidigte sie sich und tupfte dabei mit einem Taschentuch ihre Augen ab. „Wie konnte ich das voraussehen? Aber du hast es gehört. Ich bin schon wieder allein heute Abend. Das hat mir noch gefehlt. Kannst du nicht hier bleiben oder wenigstens später wiederkommen? Einfach nur so bei mir sitzen? Mehr will ich doch gar nicht.”
“ Fang bitte nicht schon wieder damit an! Vor allem lass uns jetzt erstmal diesen verdammten Anruf abwarten und hinter uns bringen.”
Sie warteten. Aber der Anruf kam nicht.
Er kam nicht nach einer Stunde und auch nicht nach einer weiteren.
“ Bist du wirklich sicher, dass du ihn richtig verstanden hast? Dass er mittags anrufen wollte?”
“ Ja, ja, ja, genau das hat er gesagt!”, erwiderte sie fahrig und begann wieder auf und ab zu laufen. “Ich bin doch nicht blöd. Ich kann es mir doch auch nicht erklären, weshalb er sich nicht meldet.”
Schließlich beruhigte sie sich etwas und kochte Kaffee, fragte ihn, ob er noch etwas anderes wolle, was er ablehnte, begann zu rauchen, bot ihm ebenfalls eine Zigarette an, was er ebenfalls ablehnte - um dann später doch eine zu nehmen und anschließend noch eine zweite.
“ Tja, so dringend scheint es ihm ja nicht zu sein, dem großen Unbekannten”, sagte er mit unverhohlenem Sarkasmus, als es auf 15 Uhr zuging.
“ Mein Gott, was kann ich denn dafür? Meinst du etwa, mir machte es Spaß, hier zu sitzen und zu warten?”, kam es gereizt zurück.
“ Und du hast wirklich keine Ahnung, wer dieser Mann sein könnte? Es muss doch jemand sein, der diesen Oliver Rensing gut kannte, dem er erzählt hat, dass er an dem Abend zu dir wollte. Eine andere Erklärung gibt es nicht.”
“ Ach, es gab viele, die er kannte, das war damals so eine ganze Clique, die um ihn herum war.”
“ Und was waren das für Leute? Was war er überhaupt für ein Mann? Du hast mir noch so gut wie nichts über ihn erzählt. Was hat er gemacht, wie hast du ihn kennengelernt? An der Uni?”
“ An der Uni? Da nun ganz bestimmt nicht”, sagte sie mit einem winzigen höhnischen Kichern. “Aber er fand es wohl ganz interessant, mit einer Studentin befreundet zu sein, noch dazu mit einer, die reiche Eltern mit einer Villa in Dahlem hatte. Er wohnte damals noch in Neukölln, aber er zog öfters um, und zuletzt wohnte er in Spandau, wie du ja weißt...”
“ Und was hat er so gemacht, ich meine beruflich?”
“ Frag mich nicht. Dies und jenes, irgendetwas, jedenfalls
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