Die Frau am Tor (German Edition)
zugleich schmeckte und ihn selbst tief befremdete und verstörte, denn sie ließ ihn zwangsläufig daran denken, dass er ebenfalls mit dieser Frau im Bett gewesen war, was die Tatsache zur Konsequenz hatte, dass er und dieser Oliver Rensing jetzt etwas gemeinsam hatten. Sie hatten, wenn auch zeitversetzt und er selbst im Unterschied zu dem anderen nur ein Mal, mit derselben Frau Sex gehabt.
Bei dem Gedanken hieran hörte er sich selbst tief durchatmen.
“ Ich wusste gar nicht, dass im Tagesspiegel solche interessanten Beiträge stehen. Du scheinst ja regelrecht fasziniert zu sein.”
Evas Stimme schreckte ihn auf und er ließ die Zeitung sinken, während ihm als nächstes wieder die Frage durch den Kopf ging, wer dieser Mann sein mochte, der Julia bereits das zweite Mal am Telefon bedroht hatte. Es musste jemand sein, der Rensing gut gekannt hatte, und er fragte sich plötzlich, ob Julias bisherige Beteuerung, sie wisse nicht, wer dieser anonyme Anrufer gewesen sei, tatsächlich der Wahrheit entsprach.
Er legte die Zeitung beiseite.
“ Ach, es war nichts weiter. Ich hatte mich nur ein wenig festgelesen und über dieses und jenes nachgedacht”, sagte er, und das war nicht einmal gelogen. Er war Eva dankbar, dass sie nicht weiter nachhakte und sich die Frage verkniff, ob irgendetwas mit ihm nicht in Ordnung sei. Sie hatte es bereits das ganze Wochenende über vermieden, ihm diese Frage noch einmal zu stellen, obschon sie ihr, so weit er das beurteilen konnte, mehrmals auf der Zunge lag. Ihr unübersehbares Bestreben, jede Art von Misshelligkeit zu vermeiden, rührte ihn. Aber es trug nur wenig dazu bei, seine permanente Beklommenheit zu mildern.
Sie stritten nicht, nein, nur das nicht. Sie waren fast etwas zu übereifrig um Harmonie bemüht, er mindestens so sehr wie sie. Doch letzten Endes zeigte sich, dass das nicht reichte. Sie absolvierten das Programm, das Eva geplant hatte, zumindest den größten Teil davon. Sie besuchten eine Vernissage im Scheunenviertel, gingen in das Konzert einer Newcomer-Band in einer ehemaligen Kreuzberger Fabrikhalle, schliefen ein Mal miteinander – was sich von seiner Seite nun wieder als problemlos erwies, von ihrer aber nicht weiter kommentiert wurde – und aßen am Sonntagmittag in einem Restaurant an der Friedrichstraße, das den Ruf hatte, ein Prominentenlokal zu sein.
Danach teilte ihm Eva mit, dass sie nicht mehr, wie üblich, bis zum Montagmorgen, ja, nicht einmal bis zu diesem Abend bleiben werde, sondern jetzt gleich zurück nach Potsdam wolle. Auf weitere Erklärungen wurde beiderseits verzichtet. Sie fuhren zu seiner Wohnung und sie packte ihre Tasche und stieg in ihren Wagen.
“ Weißt du, ich habe darüber nachgedacht”, sagte sie aus dem Fenster heraus, bevor sie losfuhr. “Vielleicht lag ich ja ganz falsch. Vielleicht sollten wir nicht mehr Zeit zusammen sein, sondern etwas weniger, jedenfalls vorübergehend. Vielleicht brauchen wir ein bisschen Abstand. Auf keinen Fall möchte ich irgendwie den Eindruck haben, dir irgendwie auf die Nerven zu gehen.”
Er sah ihr nach mit einem Gefühl der Erleichterung, aber auch eines Anflugs von Traurigkeit.
14.
Gegen drei Uhr in der Nacht schreckte er aus einem bedrückenden Traum auf, ohne sich an Einzelheiten zu erinnern, und obwohl er sich alle Mühe gab, wieder einzuschlafen, gelang es ihm nicht. Der Gedankenmotor ließ sich einfach nicht abschalten.
Da er den Wecker anschließend umgedreht hatte, um nicht ständig nach den Leuchtziffern spähen zu müssen, wusste er nicht, wie viel Zeit verstrichen war, bis sein Entschluss feststand: Er würde dieser ganzen Angelegenheit ein Ende bereiten – diesmal aber wirklich, ein für alle Mal und unwiderruflich. Er würde Eva anrufen, sich mit ihr verabreden und ihr alles beichten, und danach würde er zur Polizei gehen, allerdings, nachdem er sich zuvor mit einem Anwalt beraten hätte. Was immer dann auf ihn zukommen mochte, war auf jeden Fall besser, als sich noch tiefer in diese immer verrücktere, immer riskantere Sache hineinziehen zu lassen, in der es jetzt offensichtlich auch noch um Erpressung ging.
Er fragte sich, was ihn, zum Teufel, nur geritten hatte, Julia zu versprechen, dass er wegen des angekündigten weiteren Anrufs dieses obskuren Unbekannten zu ihr kommen werde. Er hatte nicht die geringste Ahnung, was er ihr raten sollte, und erst recht nicht, was er würde ausrichten können, um ihr auch dieses zusätzliche Problem vom Hals zu schaffen.
Aber
Weitere Kostenlose Bücher