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Die Frau am Tor (German Edition)

Die Frau am Tor (German Edition)

Titel: Die Frau am Tor (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ben Worthmann
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eher unscheinbaren Statur, ein schmales, glattes, leicht gebräuntes Gesicht, das etwas Mausartiges hatte. Kessler fragte sich sofort, ob der Mann dort wohl schon länger gestanden haben mochte. Aus den Augenwinkeln registrierte er aber, dass er nach einem kurzen Zögern ebenfalls losging und dieselbe Richtung einschlug, wobei er einen etwas großspurig wirkenden, ausgreifenden, wiegenden Gang an den Tag legte.
    Er beschleunigte seine Schritte, und der Kleine fiel vorübergehend ein Stück zurück. An der nächsten Kreuzung nahm er einen anderen als seinen üblichen, kürzesten Weg zur Grünewaldstraße. Nach ungefähr hundert Metern blickte er sich um und sah den Mann abermals auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Er legte noch ein bisschen Tempo zu und bog dann erneut ab, doch er wurde ihn nicht los.
    Sowohl der Anblick des Mannes als auch die Tatsache, das dieser ihm offensichtlich folgte, missfielen ihm, und zwar ganz erheblich. Zusammen mit den Gedanken an das, was Julia ihm soeben über ihre Beziehung zu Oliver Rensing erzählt hatte sowie mit seinem Befremden wegen des Umstandes, dass der obskure anonyme Anrufer sich nicht gemeldet hatte, weitete sich dieses Missfallen zu einem äußerst unguten Gefühl aus, durchzogen von jenem unterschwelligen Argwohn, der ihn schon länger plagte und ständig größer wurde.
    Er verstand selbst nicht, wieso er Julia seine Fragen erst jetzt gestellt hatte, lauter naheliegende Fragen, zumal für jemanden wie ihn, der sein halbes Leben lang Fragen gestellt hatte, um sich ein Bild machen zu können von der jeweiligen Situation, mit der er es zu tun hatte. Und das Bild, das er hier, in diesem Fall, vor sich sah - eher eine Skizze -, war alles andere als schlüssig und überzeugend. Da war etwas, das sämtliche Reflexe des Misstrauen bei ihm aktivierte, ohne dass er genau hätte benennen können, was es war.
    Kurzzeitig spielte er mit dem Gedanken, hinüber zu gehen zu dem Mann und ihn zur Rede zu stellen – auch auf die Gefahr hin, sich zum Narren zu machen. Denn schließlich war es nicht verboten, fremde Menschen und Häuser anzuschauen oder hier entlang zu gehen. Und es war ja keineswegs völlig sicher, dass der andere Mann sich tatsächlich für ihn interessierte und ihm deshalb folgte. Es konnte sich theoretisch auch um einen ganz harmlosen Spaziergänger handeln.
    Nachdem er in der Grünewaldstraße angekommen war, schien sich das Problem zum Glück erledigt zu haben. Der kleine Mann war verschwunden. Aber als er oben in seiner Wohnung einen Blick aus dem Fenster warf, sah er ihn doch wieder. Er ging unten vorbei, sogar betont langsam, geradezu provozierend, wie er fand.
    Ohne zu zögern eilte er zurück nach unten und dem Mann hinterher.
    “ He, Sie da, warten Sie mal”, rief er ihm zu, als er ungefähr drei Meter hinter ihm war. Doch der Mann ging weiter und reagierte nicht. Er rief erneut. Jetzt blieb der Andere stehen, drehte sich gemächlich um und musterte ihn durch die dunklen Gläser seiner Brille, die er jetzt wieder aufgesetzt hatte. Er war nicht nur mindestens einen halben Kopf kleiner als er selbst und nicht einfach nur dünn, sondern geradezu schmächtig, kaum mehr als eine halbe Portion.
    “ Meinen Sie etwa mich?”, fragte er in dem typischen gedehnten Berliner Tonfall.
    “ Ja, Sie meine ich, wen sonst? Was soll das, dass Sie mir nachspionieren?”
    “ Was mache ich? Ihnen nachspionieren? Sagen Sie mal, geht's noch?”, konterte der Andere und wandte sich kopfschüttelnd wieder ab.
    “ Sie denken vielleicht, ich hätte das nicht mitbekommen, aber ich habe es sehr wohl gemerkt. Los, sagen Sie mir, was das soll! Weshalb verfolgen Sie mich?”
    “ Jetzt lassen Sie's aber mal gut sein, Mann, das reicht jetzt, ja?”, knurrte der Kleine. “Ich weiß ja nicht, was für ein Problem Sie haben, aber ich kann Ihnen jedenfalls nicht helfen.”
    “ Nee, nee, Leute gibt's”, ließ er sich noch murmelnd vernehmen, während er sich entfernte, nun mit zügigen, ausgreifenden Schritten.
    Er sah ihm nach und merkte, wie ihm der Schweiß aus sämtlichen Poren brach. Außerdem war da ein Brummen in seinem Kopf, und er hatte plötzlich das surreale Gefühl, sich in einem wirren Traum zu befinden. Er schüttelte sich und atmete ein paarmal durch und ging zurück zu seiner Wohnung. Vor dem Haus hielt ein Taxi, und Bergheim - ausgehfertig in einem gedeckten, dreiteiligen Anzug – war gerade dabei, einzusteigen. Er wusste, dass der alte Mann sich hin und wieder mit

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