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Die Frau am Tor (German Edition)

Die Frau am Tor (German Edition)

Titel: Die Frau am Tor (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ben Worthmann
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Bruch dieses Prinzips dar, sondern war moralisch vertretbar um der Sache willen. Doch für das Verhalten, dass er neuerdings gegenüber dem Menschen an den Tag legte, der ihm seit Jahren am nächsten stand, schämte er sich vor sich selbst.
    “ Das ging ja schnell. Hoffentlich sind die Probleme des Kollegen jetzt erst einmal erledigt”, meinte Eva, als er nach nur gut eine halben Stunde wieder da war, wobei sie sich wenig Mühe gab, einen Unterton von Skepsis und Verärgerung aus ihrer Bemerkung herauszuhalten.
    „ Das Essen habe ich übrigens inzwischen fertig gemacht,“ setzte sie hinzu. Es klang wie ein Vorwurf, sodass er sich noch schlechter fühlte.
    Und wenn er ihr jetzt endlich doch alles erzählen würde, statt sich weiter in seine Lügen wegen des angeblich geplanten Buchs und des ominösen Kollegen zu verstricken und in wer-weiß-welche sonst noch? Wenn er endlich reinen Tisch machte und dem unwürdigen Spiel ein Ende bereitete? Der Gedanke blitzte einmal kurz auf in seinem Kopf, verflüchtigte sich aber sofort wieder.
    “ Weißt du, dieser Dörmann ist wirklich ein trauriger Fall, ein völlig lebensuntüchtiger Mensch. Ständig gerät er in irgendwelche Bredouillen, und wenn er dann nicht weiter weiß, ruft er jemanden an, den er kennt. Und seit er jetzt hier in Berlin ist, erwischt es offenbar immer mich”, erzählte er ihr stattdessen, nachdem sie sich zum Essen hingesetzt hatten.
    Eva warf ihm wieder einen dieser Blicke zu, dem standzuhalten ihm schwerfiel, und lud sich etwas von dem Salat zu ihrem Gratin auf den Teller.
    “ Dörmann? Du hast den Namen vorher nie erwähnt.”
    Er konnte sich kaum noch entsinnen, was er ihr alles erzählt hatte. Es hatte Zeiten gegeben, in denen sie von seinen Erlebnissen und Abenteuern nicht hatte genug bekommen können.
    “ So? Hab ich das nicht? Na ja, so eng waren wir auch nie miteinander. Jedenfalls saß er vorhin in einem Lokal, ziemlich angetrunken, und stellte dann plötzlich fest, dass er gar kein Geld dabei hatte. Der Wirt machte ganz schön Scherereien und drohte damit, die Polizei zu rufen.”
    “ Das muss ja ganz in der Nähe gewesen sein, so rasch, wie du zurück warst. Verirren sich die Neu-Berliner jetzt schon in die Randbezirke hier unten?”
    Das klang beunruhigend argwöhnisch, und er ärgerte sich nachträglich, dass ihm dieser taktische Fehler unterlaufen war und er sich wohl zu sehr beeilt hatte.
    “ Weiß der Himmel, wie er hierher gekommen ist. Und es ist mir auch, ehrlich gesagt, egal. Er hockte jedenfalls in irgend so einer Eckkneipe im Lichterfelder Kiez. Ich habe seine Rechnung bezahlt und ihm noch etwas Geld für ein Taxi gegeben. Und nun Schluss damit, ja? Lass uns über etwas anderes reden.”
    Und sie redeten über anderes, an diesem Abend und auch das Wochenende über.
    Doch es kostete ihn erhebliche Anstrengung, sich selbst und ihr diese Illusion von Normalität zu vermitteln und die Fassade vor dem Einsturz zu bewahren. Auch bei ihr hatte er mehr als einmal den Verdacht, dass sich ihre Gedanken mit etwas anderem beschäftigten als mit dem, über das sie gerade sprachen. Und an keinem der Tage wurde er das drückende Gefühl seiner eigenen Schäbigkeit ihr gegenüber los.
    Am Samstagmorgen, als er beim Frühstück die Zeitung aufschlug, wurde dieses Gefühl allerdings vorübergehend überlagert von der Anspannung und inneren Unruhe, gegen die er sich außerdem die ganze Zeit zu wehren versuchte, wenn auch meistens mehr intuitiv als bewusst.
    Sie hatten abermals eine Meldung über den Toten im Grunewald gebracht, und wieder mit einem Foto. Diesmal handelte es sich jedoch um ein Bild des noch lebenden Oliver R., das sich die Polizei inzwischen beschafft hatte. Immer noch wurden Zeugen gesucht, die ihn zuletzt gesehen hatten.
    Er betrachtete das Gesicht an und konnte den Blick kaum davon losreißen. Es war das Gesicht eines Mannes von Mitte dreißig, dem er wahrscheinlich, wenn er ihm auf der Straße begegnet wäre, keine weitere Beachtung geschenkt hätte - ein Allerweltsgesicht, das weder besonders abstoßend noch sympathisch noch nennenswert attraktiv wirkte, weder dumm noch intelligent. Allenfalls lag darin ein wenig zuviel von jener demonstrativ zur Schau getragenen Selbstgewissheit, mit der Männer dieses Alters oftmals ihre Unsicherheit zu kaschieren versuchten.
    Die Vorstellung, dass Julia mit diesem Mann zusammen gewesen war, mit ihm geschlafen hatte, rief in ihm eine quälende Regung hervor, die bitter und stumpf

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