Die Frau an Seiner Seite
Weise bedacht oder gar berücksichtigt hätte.
Es war die Generation des Helmut Kohl, Jahrgang 1930, die nach dem Zweiten Weltkrieg zu jung war, um in Verbrechen und Schuld der Nazis verstrickt gewesen zu sein, doch alt genug, um sich politische Sporen zu verdienen. Den Parteien fehlte es an geeignetem Nachwuchs. Deshalb hatten Kohl und seine Freunde alle Chancen, sehr früh in verantwortungsvolle Positionen zu gelangen. Kommunalpolitiker, Landespolitiker, Angestellter des Chemieverbandes: Zu den hervorstechenden Eigenschaften des Helmut Kohl zählte die Kunst, Menschen für sich einzunehmen und an sich zu binden. Das war eines seiner Erfolgsgeheimnisse – bis zum Ende seiner Kanzlerschaft.
Beruflich abgesichert und Inhaber von zwei politischen Mandaten war es für Helmut Kohl nun an der Zeit, auch privat die entscheidenden Weichen zu stellen. Hannelore wohnte seit 1953 immer noch zusammen mit ihrer Mutter in der Ludwigshafener Achenbachstraße. Die ordentlich bezahlte Festanstellung bei der BASF füllte sie immer weniger aus. Sie fühlte sich schon länger unterfordert und sah keinerlei Möglichkeiten für ein berufliches Fortkommen. In dieser Phase überraschte sie Helmut Kohl mit der Idee, ein gemeinsames Zuhause zu schaffen. Noch verfügten weder er und schon gar nicht Hannelore über Ersparnisse. Auch an ein Erbe war nicht zu denken und ein Darlehen aufzunehmen, schien kaum realisierbar. Da hatte Hannelore, die dem Vorhaben zunächst skeptisch gegenüberstand, eine geniale Idee. Mutter und Tochter Renner besaßen Flüchtlingsausweise, die ihnen eine besondere finanzielle Vergünstigung bescherten. Die beiden Frauen konnten einen Kredit in Höhe von 40 000 D-Mark zu einem geringen Zinssatz von 1,5 Prozent in Anspruch nehmen. Den Rest der potenziellen Bausumme würde sich der Landtagsabgeordnete bei einer Bank besorgen können, da sich die Höhe der Verschuldung durch seine Anstellung beim Chemieverband in überschaubaren Grenzen hielt.
Jetzt wurde geplant, berechnet, gezeichnet, entworfen, verworfen. Hannelore übernahm die Oberaufsicht über das »Projekt Hausbau«. Fortan überwachte sie sämtliche Handwerker, prüfte die fertig gestellten Gewerke, lobte und tadelte, veränderte und erweiterte die Aufträge. Leidenschaftlich griff sie ein bei der baulichen und räumlichen Ausgestaltung, diskutierte mit dem Architekten und den Handwerkern. Die Ingenieurstochter war ganz in ihrem Element, wenn sie Maurer, Elektriker, Verputzer oder Dachdecker mit ihrem Sachverstand überzeugen konnte, sie wusste mit Zahlen umzugehen, prüfte Rechnungen und konnte sehr laut werden, wenn Fehler offenbar wurden. Hannelore erlebte bei ihrem »Projekt Hausbau« schmerzlich, wo ihre Talente lagen, was sie zufrieden und glücklich machte, und wie ungenutzt diese Talente bislang geblieben waren.
Der Neubau mit einer Einliegerwohnung für Mutter Irene Renner in der Tiroler Straße im Ludwigshafener Stadtteil Gartenstadt machte gute Fortschritte. Helmut überließ Hannelore alles, kümmerte sich um nichts, wurde aber bei wichtigen Entscheidungen zurate gezogen. Diese Arbeitsteilung, die sich als äußerst effizient herausstellte, entsprach nicht nur dem Kohlschen Rollenverständnis, sondern kam auch Hannelore sehr entgegen. Endlich stand sie vor einer Herausforderung, bei der sie sich beweisen konnte. Die gelungene Abwicklung des Projekts Hausbau mit allen Höhen und Tiefen, Fehlern und Reparaturen, sorgte für Stabilität und war für sie ein enormes Erfolgserlebnis.
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Seinen dreißigsten Geburtstag am 3. April 1960 feierte Helmut Kohl letztmalig als Junggeselle. Die Planung für die Hochzeit verlief parallel zum Fortgang des Hausbaus. Als sich der Spätsommer als Einzugstermin in Ludwigshafen-Gartenstadt abzeichnete, stand einem baldigen Hochzeitstermin nichts mehr im Wege. Von der BASF hatte Hannelore bereits mit einem feucht-fröhlichen Ausstand Abschied genommen, als der Termin für die kirchliche Trauung auf den 27. Juni 1960 festgesetzt wurde. Zuvor wollten sich Hannelore und Helmut im allerkleinsten Kreis auf dem Standesamt in Ludwigshafen das Ja-Wort geben. Die Eheschließung fand in der katholischen Josefskirche von Friesenheim statt, deren Bau Helmuts Großvater einst mitinitiiert hatte. Obwohl sie ohne religiöse Bindung aufgewachsen und per Antrag ihres Vaters 1940 aus der Kirche ausgetreten war, kostete sie es nach eigenen Angaben keine Überwindung, katholisch getraut zu werden. Auf dem Papier blieb sie –
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