Die Frau an Seiner Seite
teil. Der erfahrene Motorsportler und Vater zweier Kinder kam gegen 17 Uhr auf der trockenen Rennstrecke zu Fall und prallte mit dem Kopf gegen die Seitenbegrenzung. Wie sich später herausstellte, hatte er zwar äußerlich keine Blessuren, aber schwere innere Verletzungen davongetragen. Trotz seines modernen Helms erlitt er schwere Hirnblutungen. Der erste Lendenwirbel war völlig zerstört, hinzu kamen Halswirbelbrüche. Der rechte Lungenflügel war kollabiert, der linke von Rippen durchstoßen. Guido Senge überlebte, lag vier Wochen auf der Intensivstation und kam anschließend in eine Reha-Klinik. Selbst nach über zwei Jahren kann der Diplom-Ingenieur weder stehen, noch laufen und ist bis heute völlig hilflos. Er kann sich zwar artikulieren, tut es aber nur, wenn man ihn anspricht. Guido Senge ist extrem wahrnehmungsgestört und lebt in einer völlig anderen Welt.
Seine vierzigjährige Frau Susanne gab vorübergehend ihren Beruf als Industriekauffrau auf und kümmerte sich rund um die Uhr um ihren Mann. Über den Sozialdienst erfuhr sie vom Kuratorium ZNS, das 1993 in die Hannelore-Kohl-Stiftung umgewandelt worden war. Sie lernte das Haus am Stadtwald von Bonn-Bad Godesberg kennen, das über eine Abteilung für schädel-hirn-verletzte Menschen verfügt. Der Aufbau dieser Station war vom ZNS mit 80 000 Euro gefördert worden. Guido Senge, der als Schwerstpflegefall im häuslichen Bereich versorgt wird, nimmt dreimal wöchentlich die ambulante Versorgung in diesem Haus wahr. Für Schädel-Hirn-Verletzte wie ihn sowie für Wachkomapatienten eine einmalige und segensreiche Institution.
Die vom Schicksal schwer geprüfte Ehefrau und Mutter fand über das ZNS auch psychologische Hilfe. Sie lernte das Netzwerk kennen, erhielt Unterstützung beim Erlernen der Pflegemaßnahmen und war häufig Teilnehmerin von ZNS-Seminaren für Angehörige von Hirnverletzten. Susanne Senge hadert nicht mit ihrem Schicksal. Dank einer Unfallversicherung kann sie zumindest den finanziellen Ausfall kompensieren. Trost findet sie in ihren beiden Kindern und in den Selbsthilfegruppen des ZNS. Sie hat die neue Situation angenommen und verweist im Gespräch gerne auf das Schicksal anderer Menschen, die eine noch schwerere Last zu ertragen haben. Seit kurzem engagiert sie sich selbst in einer Angehörigengruppe und unterstützt die Hannelore-Kohl-Stiftung mit Vorschlägen für Prospekte und Spendenaufrufe. Was sie für ihren Mann und für sich selbst in Anspruch nehmen konnte und kann, möchte sie nun zurückgeben. Für sie ist es eine Selbstverständlichkeit, die segensreiche Arbeit der Bonner ZNS-Stiftung bekannt zu machen und tatkräftig zu unterstützen, soweit es die Pflege ihres Mannes zulässt. Für sie, die Hannelore Kohl selbst nie bewusst erlebt, sondern nur als Kanzlergattin wahrgenommen hat, erlangte die Lebensleistung der ZNS-Gründerin durch einen Schicksalsschlag eine ganz besondere Bedeutung.
FÜRSORGE
Hannelore Kohl war durch und durch Realistin. Sie wusste sehr genau, dass ihre Erfolge als Präsidentin des Kuratoriums ZNS auch ihrer Rolle als Frau des Bundeskanzlers geschuldet war, weshalb sie automatisch zur Prominenz des Landes zählte. Sie selbst hielt sich im Prinzip für uninteressant und betonte immer wieder bescheiden, sie verdanke ihre exponierte Stellung einzig und allein dem Amt ihres Mannes. Nur als »Frau an seiner Seite« wollte sie dennoch nicht wahrgenommen werden, weshalb sie großen Wert auf Eigenständigkeit legte, die sie mit ihrem sozialen Engagement täglich unter Beweis stellen konnte. Gleichwohl nahm sie ihre repräsentative Rolle im Politikbetrieb der Bundesrepublik ernst, ließ sich immer wieder in die Pflicht nehmen und unternahm jedwede Anstrengung, um in der Öffentlichkeit ihrem Auftrag gerecht zu werden. Dazu gehörte vor allem, nichts zuzulassen, was ihrem Mann und seiner Politik schaden könnte. Ständig war sie auf der Hut, bemüht, mögliche Fehler zu vermeiden und sich von ihrer freundlichsten und unterstützenden Seite zu zeigen. Immer blendend auszusehen, immer lächeln zu müssen, konnte auf Dauer recht anstrengend sein. Sie wusste, dass jedes Wort auf die Goldwaage gelegt wurde. Auch deshalb machte sie um die Beantwortung politischer Fragen einen großen Bogen. Hannelore konnte regelrecht aus der Haut fahren, wenn ihr jemand eine politische Äußerung entlocken wollte. Ähnlich auf Granit bissen die Medien, wenn es um Persönliches, Privates und Familiäres ging. Konsequent hielt
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