Die Frau an Seiner Seite
ausgeübt hatten. Es mag auch Zufall sein, dass zwei von Hannelore sehr geschätzte Frauen aus der DDR geflohen waren und Jahre später in ihrem Alltag eine nicht zu unterschätzende Rolle spielten. Neben der Hauswirtschafterin Edeltraud Otto verbrachte auch Rita Stöbe, 1947 im Ostteil Berlins geboren, mehrere Jahre jenseits des späteren Eisernen Vorhangs. Unmittelbar vor dem Arbeiteraufstand in der DDR am 17. Juni 1953 floh die Ost-Berlinerin mit ihren Eltern über West-Berlin in die Bundesrepublik und landete in der Pfalz. Hier erlebte ihre Familie ein ähnliches Schicksal wie Hannelore und ihre Eltern. Als Flüchtlinge aus dem deutschen Osten waren sie nicht sonderlich beliebt und schon gar nicht willkommen. Die Chancen für einen beruflichen wie privaten Neustart standen eher schlecht. Häufige Arbeitsplatzwechsel des Vaters prägten die ersten Jahre der Stöbe-Familie. Ein Schicksal, das sie mit Millionen anderer Flüchtlinge und Vertriebener teilten. Tochter Rita erlernte nach der Schulzeit das Schneiderhandwerk. Nach dem Abschluss ihrer Lehre fand sie eine Anstellung in einem Mannheimer Atelier. Hier lernte Hannelore Kohl die Berlinerin kennen und erteilte ihr einen ersten Auftrag für ein Abendkleid. Ihr Erstlingswerk für die Kanzlergattin muss so gut angekommen sein, dass Hannelore gleich neue Wünsche äußerte. Aus dieser Zufallsbegegnung entwickelte sich eine jahrelange enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit. Die erfahrene und geschmackssichere Schneiderin gehörte seit Mitte der Achtzigerjahre bis zu Hannelores Tod zu den einflussreichsten Beraterinnen in Sachen Garderobe einschließlich Schmuck und Schuhwerk. Rita Stöbe, seit dieser Zeit nur noch für Privatkunden tätig, hatte in Hannelore Kohl nicht nur die prominenteste, sondern auch die interessanteste und wichtigste Kundin, die sie immer wieder vor neue Herausforderungen stellte. Was Hannelore an Kleidung für In- und Auslandsreisen benötigte, was an Garderobe für Empfänge und Bälle gebraucht wurde, entstand in enger Absprache mit ihrer Schneiderin. Die Kanzlergattin kaufte gerne in deutschen Metropolen ein wie in Berlin, Hamburg, München oder Frankfurt. Von manchen Auslandsreisen brachte sie hochwertige Stoffe mit – oft handbestickt oder mit Goldfäden durchzogen –, aus denen Rita Stöbe maßgeschneiderte Sonderanfertigungen nähte. Was immer Hannelore an Couture in Modehäusern wie beispielsweise »Escada« kaufte, musste in jedem Fall abgeändert werden. Hannelore, die aus ihrer gesunden Eitelkeit nie einen Hehl machte, hatte eine gute Figur mit schmalen Hüften und einem breiteren Rücken. Deshalb erwarb sie das Oberteil passend und ließ lieber den Rock von Rita Stöbe enger machen. Hannelore und ihre fachlich sehr versierte Schneiderin galten als eingespieltes Team, die Chemie zwischen den beiden stimmte von Anfang an. Alles andere als beratungsresistent ließ sich die Kanzlergattin gerne auf neue Geschmacksrichtungen ein, liebte die Abwechslung und genoss die hochwertige Garderobe zu den unterschiedlichsten Anlässen. Gleichwohl verließ sie sich nicht allein auf die Anregungen und Vorschläge ihrer Schneiderin. Mindestens drei enge Freundinnen, die bis heute nie an die Öffentlichkeit traten und völlig unbekannt sind, wurden immer wieder – unabhängig voneinander – zurate gezogen. Mit ihnen unternahm Hannelore auch zahlreiche Urlaubsreisen ins europäische Ausland, vor allem nach Paris. Dort frönte sie einer ihrer Lieblingsbeschäftigungen, dem Shoppen, führte ihren Freundinnen eine kleine Modeschau vor und entschied sich beim Kauf niemals gegen deren Rat.
Von den Medien wurde Hannelores Erscheinungsbild gerne als provinziell und konservativ kritisiert. Mancher Artikel, vor allem in der Boulevardpresse, ging an der Realität vorbei und bediente ärgerliche alte Klischees. Dabei hatte Hannelore Kohl im Laufe der Kanzlerjahre ihres Mannes eine rasante Entwicklung auch in Kleiderfragen durchgemacht. Vor allem für ihre Auftritte auf internationalem Parkett schaffte sie Garderobe an, die aus den Ateliers der bekanntesten Modemacher stammte. Aber sie konnte sich kleiden, wie sie wollte: Für einen Großteil jener Medien, die ihren Mann und seine Kanzlerschaft für einen Unfall der deutschen Geschichte hielten, blieb sie das »Püppchen aus der Pfalz«, die Frau ohne Geschmack und Sinn für einen guten Stil. Dabei brauchte sie vor allem auch im Hinblick auf ihre Vorgängerinnen wirklich keinen Vergleich zu scheuen. Die
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