Die Frau aus Alexandria
mitgeteilt, dem augenscheinlichen Verschwinden eines der Dienstboten Ferdinand Garricks nachzuspüren.«
Sie wusste nicht, was sie dazu sagen sollte, und suchte nach einer Antwort, die ihn auf Abstand hielt und daran hinderte, in ihre Gedanken einzudringen.
»Augenscheinlich?«, fragte sie und sah ihn verwundert an. »Das klingt ja, als wüssten Sie etwas darüber. Heißt das, dass Sie dem Fall ebenfalls auf der Spur sind? Das freut mich, ja, es begeistert mich geradezu. Dafür sind nämlich mehr Hilfsmittel erforderlich, als mir zur Verfügung stehen.«
Jetzt war er an der Reihe, verblüfft dreinzublicken, doch überspielte er das so geschickt, dass sie es kaum merkte.
»Ich glaube nicht, dass Sie verstehen, welche Gefahr Ihnen drohen kann, wenn Sie die Sache weiterverfolgen«, gab er zu bedenken, den Blick seiner dunklen Augen unausgesetzt auf sie gerichtet, als wolle er sich vergewissern, dass sie die Ernsthaftigkeit seiner Worte begriff.
Spontan bedachte sie ihn mit einem berückenden Lächeln. »Dann wäre es wohl an der Zeit, mich aufzuklären, Mr Narraway. Worin besteht diese Gefahr? Wer könnte mir schaden, und auf welche Weise? Offensichtlich wissen Sie das alles, sonst hätten Sie nicht Ihren eigenen Fall ruhen lassen und wären hergekommen, um mir das zu sagen ... zu dieser Tageszeit.«
Er war aus dem Konzept gebracht. Auch wenn er es nur einen winzigen Augenblick zeigte, merkte sie es doch tief befriedigt. Er war überzeugt gewesen, sie durch sein Auftreten einschüchtern zu können, doch hatte sie seine eigene Drohung gegen ihn gekehrt.
Er wich der Herausforderung aus, die in ihren Worten lag. »Sie befürchten also, dass Martin Garvie etwas zugestoßen sein könnte?« , fragte er.
Sie war nicht bereit, klein beizugeben. »Ja«, sagte sie offen heraus. »Mr Ferdinand Garrick sagt, sein Sohn und Garvie seien nach Südfrankreich gereist, doch warum hat der junge Mann drei Wochen lang seiner Schwester nichts davon geschrieben, falls es sich so verhält?« Keinesfalls wollte sie Narraway einen Hinweis darauf liefern, dass sich Tellman vergeblich bemüht hatte, etwas über die Abreise der beiden zu erfahren oder einen Zeugen zu finden, der sie den Zug hatte besteigen sehen. Unter keinen Umständen durfte Tellmans neuer Vorgesetzter etwas erfahren, was nicht ganz einwandfrei war, und sie hielt es nicht für ausgeschlossen, dass
Narraway sein Wissen auf jede Weise nutzen würde, die seinen jeweiligen Zielen dienlich war.
»Befürchten Sie etwa, dass er einem Unfall zum Opfer gefallen sein könnte?«, wollte er wissen.
Sie erkannte, dass er mit ihr spielte. »Welche Art Unfall sollte das sein?«, fragte sie mit gehobenen Brauen. »Ich kann mir keinen denken, bei dem ich auf die von Ihnen angedeutete Weise gefährdet sein könnte.«
Er gab nach und sagte lächelnd: »Touché . Ich will ganz offen sein, Mrs Pitt. Mir ist bekannt, dass Sie sich nach dem Verbleib dieses augenscheinlich verschwundenen jungen Mannes erkundigt haben, der Mr Stephen Garricks Kammerdiener ist oder war. Die Garricks sind in der Gesellschaft wie in der Regierung nicht ohne Einfluss. Ferdinand Garrick war ein geachteter Berufsoffizier, der seine Laufbahn als Generalleutnant beendet hat. Ein Gott, der Königin und dem Land bis zum letzten Blutstropfen ergebener prinzipientreuer Mann.«
Charlotte wusste nicht, was sie denken sollte. Sie stand in der Mitte des Zimmers und sah Narraway an, der sich mit jedem Augenblick mehr entspannte. Falls Garrick so aufrecht und ehrenwert war, wie er ihr da geschildert wurde, ganz der Musterchrist, von dem Vespasia gesprochen hatte, gab es nicht den geringsten Grund anzunehmen, dass er einen Dienstboten auf die Weise behandelte, wie das Gracie und sie befürchteten.
Narraway merkte, dass sie unsicher wurde. »Aber er kennt keine Gnade, wenn er sich angegriffen fühlt«, fuhr er fort. »Er würde nicht dulden, dass wer auch immer seine Handlungsweise infrage stellt. Er hat seinen Stolz und ist, wie das bei solchen Leuten häufig der Fall ist, sehr darauf bedacht, seine Privatangelegenheiten aus der Öffentlichkeit herauszuhalten.«
Charlotte hob das Kinn ein wenig. »Und was könnte er mir antun, Mr Narraway? Meinen Ruf in der Gesellschaft zugrunde richten? Ich habe keinen. Mein Mann ist Beamter im Sicherheitsdienst. Zwar bedienen sich die Behörden seiner, tun aber zugleich so, als existiere er nicht. Als er die Polizeiwache in der Bow Street
leitete, hätte ich vielleicht gesellschaftlichen
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