Die Frau aus dem Meer
der Stelle zu ihm gegangen wärst und ihn umgebracht hättest. Jetzt musst du jemand Neuen finden, der das Wasser holen geht.»
Nachdem der erste Zorn verflogen war, dachte Gnazio, wie glücklich er war, eine Frau zu haben, die vor nichts und niemandem Angst hatte.
Als er abends zum Essen zurückkehrte, fand er den Tisch nur für einen gedeckt.
«Noch immer?! Auch heute Abend isst du nichts?»
«Mach dir keine Gedanken!»
Dafür zeigte sich Maruzza, als sie zu Bett gingen, begierig auf andere Dinge. Doch sie aß erst nach fünf Tagen wieder normal.
Ist ja möglich, dass es so ist, nachdem sie sich wie eine Sirene gefühlt hat, sagte Gnazio sich.
Ein paar Monate nach ihrer Hochzeit sagte Maruzza ihm eines Abends, als sie zu Bett gingen, mit so leiser Stimme, dass er es zuerst gar nicht verstand:
«Bin schwanger.»
«Was?»
«Ich bin schwanger. Guter Hoffnung.»
Gnazios Gefühle waren derart, dass er vom Bettrand, auf dem er saß, herunterrutschte und auf seinem Hinterteil landete.
«Maria! Maria! Maria!», rief er immer wieder und konnte gar nichts anderes sagen.
Und dann fing er wie ein kleiner Junge vor Freude an zu weinen. Da packte ihn Maruzza mit einer Hand bei den Haaren, zog ihn wieder ins Bett und ließ ihn auf ihr liegen.
Am nächsten Morgen, als es noch dunkel war, kam Donna Pina vorbei, die hin und wieder ein bisschen verweilte, ein Gläschen Wein trank und einen kleinen Schwatz hielt. Maruzza gab ihr die schöne Nachricht.
«Gehen wir ins Schlafzimmer!», sagte Donna Pina.
Gnazio wollte den Frauen hinterhergehen.
«Ihr nicht!», herrschte die Alte ihn an.
Doch Gnazio war von allzu großer Neugier ergriffen. Er wartete ein kurzes Weilchen, zog sich die Schuhe aus und schlich die Treppe bis zur Höhe des Schlafzimmers hinauf. Wenn er den Kopf ein Stückchen hob, konnte er hineinsehen. Er sah, wie Donna Pina die Schüssel nahm, etwas Wasser hineingoss und auf Maruzzas Bauch stellte, die nackt auf dem Bett lag. Dann steckte sie ihre Hand in die Tasche, zog ein winziges weißes Fläschlein heraus, drehte den Korken heraus, der ebenfalls aus weißem Glas war, und ließ fünf Tropfen einer grünen Flüssigkeit ins Wasser fallen. Sie verschloss das Fläschlein wieder mit dem Korken und steckte es in die Tasche zurück. Sie beugte sich weit nach vorne, blickte dann in die Schüssel und sagte:
Kindlein, das dir Gott bald sendet,
beantworte meine Frage, die alles wendet,
im Namen Josephs und Mariens bitt’ ich,
sag der Hex’ die Antwort schicklich.
Willst die Antwort mir nicht nennen,
sollst im ewigen Feuer brennen.
Willst du sie mir aber geben,
sollst im Frieden des Ewigen leben.
Zeit geb’ ich dir nun bis drei,
sag, ob’s so oder nicht so sei.
Sie richtete sich auf, breitete die Arme aus, schloss die Augen und machte eine Kreisbewegung in der Luft.
«Und eins.»
Zweite Kreisbewegung.
«Und zwei.»
Dritte Kreisbewegung.
«Und drei.»
Sie öffnete die Augen, blickte in die Schüssel und sagte:
«Es wird ein Junge!»
Gnazio wurde es schwarz vor Augen, er wurde ohnmächtig und stürzte die Treppe hinunter. Es fehlte nur wenig, und er hätte sich das Genick gebrochen.
Bevor sie ging, fragte Donna Pina Maruzza:
«Soll ich es deiner Urgroßmutter sagen?»
Da dachte Gnazio, dass er Minica seit dem Tag der Hochzeit nicht mehr gesehen hatte. Besser so.
«Sagt’s ihr», antwortete Maruzza.
Doch am Abend des nächsten Tages überbrachte Donna Pina die Antwort der Urgroßmutter:
«Wär’s ein Mädchen, käm’ ich wohl schnell, doch für einen Jungen rühr ich mich nicht von der Stell’.»
Ja, wie denn, was denn? Glänzen die Fische jetzt vom Ende her? Nicht mehr vom Maul, sondern vom Schwanz? Hat es nicht immer geheißen, ein Sohn würde Reichtum im Hause bedeuten? Während ein Mädchen wenig bis nichts wert war? Wie dachte diese törichte Alte eigentlich?
Als der Jahreszeitenwechsel einsetzte, sagte Maruzza zu ihrem Mann:
«In spätestens drei Tagen musst du mir die Zisternen füllen.»
Gnazio verabredete sich mit einem anderen Nachbarn, der Timpanaro hieß und einen Karren besaß.
«Aber ich brauche jemanden, der mir hilft», sagte Timpanaro.
«In Ordnung.»
«Ich bringe meinen Bruder Giurlanno mit.»
Als Maruzza ihm sagte, sie brauche das Wasser am folgenden Tag, gab er Timpanaro Bescheid und machte sich ans Säubern der Zisternen. Er fing mit der zweiten an. Mit einem gefüllten Eimer Wasser ließ er sich unter Schwierigkeiten in die Zisterne hinunter, hob
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