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Die Frau aus Flandern - eine Liebe im Dritten Reich

Die Frau aus Flandern - eine Liebe im Dritten Reich

Titel: Die Frau aus Flandern - eine Liebe im Dritten Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Seidert
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jedoch wurde wohl niemals ernsthaft die Begleichung dieser Schulden erwogen.
    Die 190   000 »Freiwilligen«, die nach Deutschland gegangen waren, waren zu wenige. Also wurde im Frühjahr 1942 die Arbeitspflicht eingeführt, und als das nicht reichte, wurden ganze Jahrgänge zur Arbeit eingezogen. Weil sich so mancher der Dienstverpflichtung entzog, gingen die Behörden mit Razzien gegen die »Drückeberger« vor, etwa mit der großen »Osterfahndungsaktion« im Mai 1943.
    Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs wurden auf diese Weise 375   000 belgische Männer und Frauen zwangsweise zur Arbeit ins Reich deportiert.

Arbeit bei den Deutschen
    Biografien, besonders deutsche Biografien, enden noch immer nicht selten 1933 und beginnen, als sei es das Normalste der Welt, wieder im Jahr 1945 nach Kriegsende. Einer Schuppung ähnlich, einer Häutung aus den Trümmern des zurückliegenden Lebens und des moralisch zerschlagenen und verbrannten Landes. Adrianas Nachlass machte mich auch deshalb neugierig, weil er die Jahre 1940 bis 1945 nicht aussparte, sondern leise Spuren legte.
    »Das deutsche Volk muss ein Volk von Fliegern werden«, tönte Hermann Göring, und die Spuren, die ich in Adys Koffer fand, erzählten von deutschen Flugmotoren. Doch dass einmal deutsche Jagdflugzeuge und nicht etwa ein Mann ihren Lebensweg bestimmen würden, das ahnte Ady damals, Anfang der vierziger Jahre, nicht.
    Ady schafft sich, als es so aussieht, als ob die Deutschen erst einmal dablieben, ganz pragmatisch Wörterbücher an: niederländisch – deutsch, niederländisch – englisch, englisch – deutsch. Viele Firmen sind geschlossen oder gehören jetzt Deutschen oder werdenvon ihnen geleitet. Der Arbeitsmarkt für Belgier ist mager, für teure Friseurbesuche fehlt den Frauen das Geld. Ady muss sich nach einer anderen Arbeit umsehen. Sich arbeitslos zu melden hieß, unmittelbar zur Arbeit im Reich gezwungen zu sein. Ady ist, als 1942 das Gesetz zur allgemeinen Arbeitspflicht erlassen wird, 28 Jahre alt. Jeden Tag könnte der Einsatzbefehl zur Arbeit irgendwo im Deutschen Reich im Briefkasten liegen.
    Maria näht, sofern sie Aufträge bekommt – mal eine Ausbesserung hier, eine Änderung da, meistens muss sie Kleidungsstücke umarbeiten, an Kinder anpassen oder enger machen, in Röcke und Blusen Abnäher einnähen. Die Kleider sind zu weit geworden, die Hungermonate machen sich bemerkbar. Es ist nicht viel, aber so kann Maria zumindest ein wenig zur Haushaltskasse beitragen. Wer kann es sich schon leisten, jetzt einer Schneiderin lukrative Aufträge zu erteilen, wer verfügt über die dafür nötige Menge Stoff?
    Viel brauchen die beiden nicht zum Leben, sie sind zu zweit, nur sie und Ady, Firmin ist nicht da.
    Renée, zehn Jahre jünger als Ady, soll eigentlich 1942 ihren Schulabschluss machen, doch eine Augenoperation kommt dazwischen. Ein Fremdkörper hat sich hinter ihren Augapfel geschmuggelt, so schreiben die Kolleginnen ihr Examen, während Renée im Krankenhaus liegt. Sie hat vier Schuljahre hinter sich und steht ohne Abschluss da, die Situation ist zum Verzweifeln.
    Der Vater ist bereits seit zwei Jahren in Deutschland, lange weiß die Familie nicht, wo er sich aufhält. Schließlich erhalten sie Nachricht von ihm aus Dessau. Doch es sollte sechs Monate dauern, bis der Mutter wenigstens ein Teil seines Lohns ausgezahlt wird. Es ist eine harte Zeit für die Familie, zwei jugendliche Kinder gehen noch zur Schule und die Mutter kann kaum arbeiten gehen, weil sie oft stundenlang vor Lebensmittelgeschäften anstehen muss, um etwas Essbares zu ergattern.
    Über die Wege, die das Geld aus dem Reich nimmt, weiß die Familie nichts, sie kann sich das nicht erklären, warum es so lange dauert. Ihnen bleibt nichts anderes übrig, als zu warten. »Glücklicherweise hatten wir einen kleinen Garten und anstelle von Blumen wurde er genutzt für Kartoffeln und Gemüse.« Renées Muttermuss in diesen Tagen wie so viele Frauen erfinderisch sein, um ein anständiges Essen auf den Tisch zu stellen.
    Auch Maria steht an, oft stundenlang und nicht selten vergeblich. Im Garten an der Zonnewijzer Straße, wohin sie Ende der dreißiger Jahre umgezogen waren, werden ebenfalls Kartoffeln und Gemüse angebaut.
    Werksausweis von Ady für den Front-Reparatur-Betrieb (F. R. B.-GL.) Daimler-Benz Flugmotoren. Ausgestellt am 2. 5. 1944.
    Nachdem Renée genesen ist, sitzt sie wieder in der Klasse, sie soll das Schuljahr wiederholen. Eines Tages kommt jemand von der

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