Die Frau des Apothekers - Sandmann, C: Frau des Apothekers
Stimme.
Louise hob den Kopf und blickte ihn an. Wie jung, wie gesund er war!
Sie flüsterte: »Wir müssen vergessen, was die Krankheit aus ihm gemacht hat, und ihn so in Erinnerung behalten, wie er früher
war.«
Frederick sagte leise: »Ich bin froh, dass er sich … dass er gestorben ist, bevor wir uns etwas vorzuwerfen gehabt hätten.« Als sie ihn bestürzt ansah, verbesserte er sich hastig:
»Ich meine, bevor wir angefangen hätten, ihm ins Gesicht zu sagen, dass wir ihn nicht mehr ertragen können und wünschten,
er wäre tot.«
Louise nickte. Tränen glitzerten in ihren Augen. Aber gleichzeitig konnte sie nicht anders, als den jungen Mann zu betrachten
und daran zu denken, dass er im Alter zu ihr passte, dass sie das Leben und die Liebe hätte genießen können, wäre sie mit
einem wie ihm verheiratet. Zum ersten Mal sah sie in ihm nicht nur den ergebenen Diener ihres Mannes.
In den zwei Jahren ihrer Ehe hatte sie oft genug Sehnsucht nach Romantik und glühender Liebe empfunden, aber diese Sehnsucht
hatte sich in ganz kindlicher Weise auf Schauspieler und Opernsänger gerichtet, und selbst auf diese nicht als wirkliche Personen,
sondern in ihren Rollen. In ihren Träumen war sie in den Armen singender Helden in prächtigen Kostümengelegen, umgeben von Königspalästen und exotischen Landschaften. Oft genug hatte sie den betagten Gatten in Gedanken betrogen,
indem sie sich im Dunkel des ehelichen Schlafzimmers vorstellte, er sei einer dieser Theaterhelden.
Fredericks Stimme war voll Mitleid, als er sie ermahnte: »Grübeln Sie jetzt nicht, Frau Paquin. Gehen Sie zu Bett. Nehmen
Sie ein paar Tropfen Laudanum, wenn Sie nicht einschlafen können.«
»Ja, da haben Sie recht. Ich werde schlafen gehen.« Sie stand auf zum Zeichen, dass die Unterredung beendet war.
Frederick zog sich sofort zurück, jeder Zoll der gut geschulte Angestellte. Er wünschte gute Nacht und wollte eben den Raum
verlassen, als Louise ihn noch einmal ansprach.
»Frederick?« Ihre Stimme zitterte leicht.
»Ja, gnädige Frau?«
Unmerklich hatte sich der Ton zwischen ihnen verändert. Es war nicht mehr die Herrin, die mit dem Diener sprach, sondern eine
ratlose junge Frau, die sich einem Freund anvertraute. Von allen Menschen im Haus hatten sie dem Verstorbenen am Nächsten
gestanden – die Gattin und der junge Mann, der sein Vertrauter gewesen war.
Sie flüsterte, den Tränen nahe: »Ich … Ich bin Ihnen dankbar für Ihr Verständnis und Ihre Treue. Ich habe in diesem Haus keine Freunde mehr – außer Ihnen.«
Frederick schloss die Tür und schob den Riegel vor. Wortlos trat er an Louise heran und zog sie in seine Arme. Seine schmalgliedrigen
Hände streichelten zärtlich ihr Haar, während sie an seiner Brust weinte und schluchzte und sich kaum beruhigen konnte. Er
wartete geduldig, bis der schlimmste Sturm sich gelegt hatte, dann sprach er sie an, die Stimme so sorgsam gedämpft, als hielte
er ein scheues Tier in den Armen,das bei der ersten falschen Bewegung in Panik flüchten konnte. »Soll ich bei dir bleiben?«
Sie antwortete mit einem stummen Nicken.
Er zog sie an sich, und im nächsten Augenblick glitt er an ihr herunter, lag vor ihr auf den Knien, den Kopf an ihren Bauch
gepresst, und stöhnte in die Falten ihres Kleides. Sie war völlig verblüfft, als sie feststellte, dass die Dienstboten mit
ihrem Geschwätz recht gehabt hatten. Der junge Mann überhäufte sie mit atemlosen Beteuerungen, dass er ihr seine Liebe nie
geoffenbart hätte, wäre Raoul noch am Leben. Er stammelte von Ehre und Vertrauen, von verzehrender heimlicher Leidenschaft,
erbitterten Kämpfen mit der eigenen Begierde und immer wieder errungenen Siegen männlicher Rechtschaffenheit.
Verwirrt und verlegen streichelte sie sein Haar, umfasste seinen Kopf mit den Händen, versuchte ihn hochzuziehen und fand,
dass er sie auf das Bett niederzog.
Noch während alles geschah, erschien es Louise Paquin wie ein seltsamer Traum. Ihre Kleider fielen um sie herum zu Boden.
Ihr Korsett wurde von kundigen Händen aufgeschnürt. Sie berührte warme Haut, hielt einen jungen Leib in den Armen, angenehm
riechend, salzig schmeckend nach dem schwachen Schweiß, den die Erregung ihm aus den Poren trieb. Ihre Gedanken verschwammen,
während ihre Sinne aufloderten wie ein seit zwei Jahren unter der Asche schwelendes Feuer.
Sie war erst sechzehn gewesen und noch unberührt, als sie heiratete, und selbst als Herr
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