Die Frau des Apothekers - Sandmann, C: Frau des Apothekers
Paquin sich noch als Mann hatte erweisen
können, war ihr Zusammensein nicht eben von Leidenschaft geprägt. Sie hatte sich bemüht, ihm Freude zu machen, weil sie ihm
dankbar war, aber ihr eigenes Bedürfnisnach Freude war nicht erfüllt worden. Jetzt brach die Leidenschaft ungehemmt über sie herein. Sie merkte, dass sie Frederick
damit ein wenig erschreckte, aber er fing sich rasch wieder. Jung und stark, machte er sich keine Sorgen darüber, auch einer
anspruchsvollen Frau genügen zu können. Louise spürte zum ersten Mal die volle Kraft eines Mannes, und sie war entzückt. Alles
an Frederick war schön. Warmes Fleisch, duftendes Haar, zärtliche Lippen, die erst ihre Schläfe küssten, dann ihr Ohr, ihren
Hals, ihre Brüste. Hände, die einmal sanft und einmal energisch zugriffen. Die unerträgliche Spannung, die sich über Monate
hinweg durch Frustration, Melancholie, Ärger und Furcht in ihr aufgestaut hatte, löste sich explosionsartig in einer maßlosen
körperlichen Begierde. Unersättlich verlangte sie nach dem jungen Mann, dessen Kraft, sooft er sie auch verströmte, sich binnen
kürzester Zeit wieder in seinen Lenden sammelte. Später konnte sie sich nicht mehr erinnern, wie oft ihr Körper sich ihm entgegenbäumt
und ihn gefordert hatte und wie oft er diese Forderung erfüllt hatte, bis sie schließlich beide so erschöpft waren, dass sie
einander still in den Armen lagen.
Sie flüsterte ihm ins Ohr: »Ich hätte nie gedacht, dass es so schön sein kann. Raoul war immer lieb zu mir, aber er war nicht
sehr kräftig … du weißt … Ich habe doch etwas vermisst.« Ihre weiche Stimme klang plötzlich bedrückt. »Meinst du, ich bin Raoul untreu geworden?«
»Er ist tot, Louise. Du bist frei.«
»Er ist noch nicht einmal begraben, und ich schlafe schon mit einem anderen Mann.«
Frederick streichelte ihr Haar. »Mach dir keine Gedanken. Er würde es dir nicht missgönnen. Du warst ihm treu, solange er
lebte, aber jetzt kannst du deine eigenen Wege gehen.«
»Ja, du hast recht.« Sie schmiegte sich in seine Arme. »Halt mich fest. Bleib bei mir. Sie werden alle über uns lästern, wenn
sie merken, dass du die Nacht hier verbracht hast, aber das ist mir gleichgültig. Komm, küss mich.«
Seine Lippen berührten die ihren mit neu aufglühender Leidenschaft.
2
Als Louise schon längst schlief, lag Frederick Hansen immer noch wach. Körperlich hatte er sich so völlig verausgabt, dass
ihm vom Nabel bis zu den Knien alles wehtat, aber sein Geist wollte nicht zur Ruhe kommen. Die Ereignisse des Tages waren
über ihn hereingebrochen wie eine Sturmflut. Er war schockiert gewesen, als er den toten Herrn in seinem Blut liegen gesehen
hatte, aber er hatte Entsetzen und Trauer gar nicht richtig spüren können, weil ihn etwas anderes noch viel mehr erschütterte.
Er war zutiefst bestürzt gewesen, als die Rede von einer polizeilichen Untersuchung gewesen war. Beinahe hätte er die Nerven
verloren und wäre einfach ins Blaue davongerannt. Ein Glück, dass er es nicht getan hatte, sonst hinge sein Steckbrief jetzt
in Hamburg an allen Ecken und Enden.
Er atmete tief durch. Ihm war nur eines klar: Sie durften es niemals herausfinden. Nicht jetzt, wo er am Ziel seiner Wünsche
war, wo er die Frau in den Armen hielt, die er liebte. Wie hätte er umkehren können auf diesem Weg, der ihn zu einem glücklichen
und respektablen Leben zu führen versprach,fernab der Schrecken, die er hinter sich hatte? Und konnte er nicht hoffen, dass noch einmal alles gut gehen würde?
Er zog die schlafende Louise enger an sich und wühlte das Gesicht in ihr weiches, duftendes kupferrotes Haar, das geheimnisvoll
im Mondlicht schimmerte. Endlich konnte er selbst auch schlafen.
3
Louise erwachte mitten in der Nacht von einem unbehaglichen Drängen im Leib. Sie seufzte. Es war schon verdrießlich genug,
tagsüber auf den eisig kalten Abort zu müssen, aber erst in der Nacht! Dennoch, je schneller sie sich aus dem warmen Bett
quälte, desto eher durfte sie wieder hinein. Vorsichtig bemüht, Frederick nicht zu wecken – der freilich schlief, wie nur
ein erschöpfter Mann schläft –, glitt sie unter der Decke hervor, verließ das Zimmer und hastete über den Flur.
Obwohl sie sich einbildete, nicht abergläubisch zu sein, schnürte es ihr die Kehle zu, als sie an dem Badezimmer vorbeimusste.
Die aus den Angeln gerissene Tür war nicht wieder einzuhängen gewesen, also hatte
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