Die Frau des Apothekers - Sandmann, C: Frau des Apothekers
hatten – »wegen des Todesfalls des gnädigen Herrn«. Das besagte deutlich, dass
sie erstens nur Herrn Paquin als Dienstgeber anerkannt hatten und zweitens ihre eigenen Vorstellungen davon hatten, wer an
diesem Todesfall schuld war.Die weniger Vornehmen gaben ihrem Unmut unverblümt Ausdruck. »Wissen Sie, Gnädigste«, sagte eines der Zimmermädchen, »ich
habe bis jetzt immer in anständigen Häusern gedient, und wenn es wo nicht anständig ist, dann habe ich dort nichts zu suchen,
wenn Sie wissen, was ich meine. Meine Mutter würde mir schön was erzählen, wenn sie von der Geschichte hörte.«
Louise ignorierte diese Kommentare, so gut es ging, aber sie fühlte sich elend. Wie sie da an dem Schreibtisch ihres Mannes
saß, waren ihre Hände und Füße kalt wie Eisklötze, während ihre Stirn fiebrig glühte. Sie war einem Zusammenbruch nahe, das
spürte sie. Nicht auszudenken, wenn sie diese Schwäche vor der Dienerschaft zugeben müsste! Wäre Amy nicht da gewesen, sie
hätte es nicht geschafft. Aber die Engländerin saß im Ohrensessel neben dem Schreibtisch und musterte mit scharfen Blicken
die Leute, die der Reihe nach eintraten und wieder hinausgingen. Sie brauchte gar nichts zu tun und zu sagen. Allein ihre
Gegenwart bewahrte Louise vor dem Zusammenbruch.
Schließlich war auch das letzte Küchenmädchen verabschiedet, und Louise sank in sich zusammen wie nach einer schweren körperlichen
Anstrengung. »Ich schaffe das nicht«, flüsterte sie. »Ich fühle mich so völlig verloren ohne Raoul.«
»Humbug!«, widersprach Amy forsch. »Das reden uns nur die Männer ein, dass wir dies und das nicht schaffen! Sie wollen, dass
wir uns selbst für schwach und dumm halten, damit sie weiter auf uns herumtrampeln können. Nun atmen Sie einmal tief durch,
trinken Sie ein Glas Wasser und sagen Sie sich: Ich schaffe es!«
Louise wurde noch kleiner. »Ich glaube nicht, dass das hilft«, wimmerte sie.
»Na schön«, gab die Engländerin gnädig nach. »Sie sind ja noch im Anfangsstadium. Der Rechtsschutzverein für Frauen wird Sie
unterstützen, bis Sie auf eigenen Füßen stehen können. Sie müssen nur–«
Sie wurde von Fräulein Hahne unterbrochen, die mit hochrotem Kopf ins Zimmer rauschte. Ohne lange Vorreden platzte sie heraus:
»Bist du verrückt geworden, Louise? Du entlässt das Personal? Wie sollen wir ohne die Leute zurechtkommen? In ein paar Stunden
werden hier sämtliche Honoratioren von Hamburg auftauchen, und wir stehen da wie die Bettelleute!«
Louise merkte, wie erwartungsvoll Amy sie anblickte, und raffte allen Mut zusammen, um so selbstbewusst zu klingen wie die
Engländerin. Wenigstens fiel es ihr bei Paula nicht so schwer wie bei anderen Leuten, wahrscheinlich, weil sie deren unsaubere
Geheimnisse kannte. »Ich kann sie nicht bezahlen, und ich denke auch nicht daran, Dienstboten zu bezahlen, die mit mir reden
wie mit einem Straßenbengel. Um alles, was mit der Aufbahrung und Beisetzung zu tun hat, brauchst du dir keine Sorgen zu machen.
Das übernehmen ohnehin die Leute von der Bestattung, und die sind bereits bezahlt.«
Paula schnaufte entrüstet. »Kaum ist der arme Raoul tot, wirtschaftest du hier herum, wie es dir passt! Das sieht dir ähnlich!
Hast du keinen Respekt vor seinen Wünschen?«
»Wenn ich wüsste, was seine Wünsche waren, hätte ich davor Respekt. Aber er hat uns leider alle im Unklaren gelassen.« Ihr
Ton wurde weicher, als sie sah, wie verzweifelt Raouls Kusine war. »Komm, Paula. Setz dich zu uns. Wir halten eben Kriegsrat,
wie es weitergehen soll.«
Paula lehnte den Vorschlag ab. Den Kopf hoch erhoben, erklärte sie mit einem verächtlichen Seitenblick auf Amy: »Ichwüsste nicht, was fremde Leute unsere Angelegenheiten angehen.«
Louise wurde ärgerlich. »Ich brauche Unterstützung, und von wem soll ich sie sonst bekommen? Etwa von dir? Dann mach doch
bitte einen Vorschlag, was ich jetzt tun soll!«
»Was du jetzt tun sollst …« Mit einer solchen Frage war Paula Hahne sichtlich überfordert. Daher platzte sie wütend heraus: »Wie eine Dame solltest
du dich benehmen! Wie eine ehrbare Witwe! Die halbe Stadt zerreißt sich schon das Maul über dich und deinen … deinen …«
Louise schien es, als müsste sie in der dumpfen Luft des leeren Hauses ersticken. Die Empörung darüber, dass ausgerechnet
Fräulein Hahne ihre Moral infrage stellte, gab ihr Mut. »Schluss jetzt!«, herrschte sie Paula an. »Wer
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