Die Frau des Apothekers - Sandmann, C: Frau des Apothekers
Verdächtigungen gewisser Leute« zitierten und sich im selben Atemzug über diese Verdächtigungen
entrüsteten.
Louise hatte es gerade erst geschafft, eine ordentliche TasseKaffee zu ergattern, als der Lakai meldete, Frau von Pritz-Toggenau wünsche sie zu sprechen. Sie spürte, wie ihre Hände kalt
wurden, während sie mit gepresster Stimme antwortete: »Bitten Sie die Dame herein.«
Zu Raouls Lebzeiten hatte seine Schwester sie nur selten besucht, vor allem bei Gelegenheiten wie Weihnachten, wenn Familien
wohl oder übel zusammentreffen mussten, und Louise fand, dass diese wenigen Besuche ihr reichlich genügt hatten. Hermine war
in ihren Augen eine dumme und charakterschwache Person.
Darin irrte sie sich allerdings. Hermine hatte von frühester Jugend an viel List und Energie aufgewandt, um das Ziel ihres
Lebens zu erreichen: einen Adelstitel. Anders als ihr Bruder hatte sie es immer als Mangel empfunden, nur eine Bürgerliche
zu sein, ausgeschlossen von der Welt der Hochwohlgeborenen, die sie sich als einen Himmel auf Erden vorstellte. Sie war ein
hübsches Mädchen, aber nützlicher als ihr Aussehen war bei der Erreichung ihres Ziels die monomanische Entschlossenheit, mit
der sie es verfolgte. Zuletzt erreichte sie es allen spöttischen Stimmen zum Trotz auch. Sie wurde die Gattin von Julius Aloysius
Baron von Pritz-Toggenau, einem Schwachkopf und Liederjan, der zur Verfügung stand, weil ihn sonst keine Frau wollte.
Seither hatte es ständig Streit und Zank zwischen den Geschwistern gegeben. Herr Paquin fühlte sich von seiner Schwester bloßgestellt,
weil sie ihm einen Kretin in die Familie einbrachte, und sie nannte ihn einen Krämer, der ihr den glänzenden Titel neidete.
Seinen Schwager, den er zutiefst verachtete, hatte er niemals eingeladen oder besucht.
Louise hörte die täppischen Schritte des unwillkommenen Gastes im Flur.
»Du bist also wieder da!« Die Baronin zwängte sich durch die halb geöffnete Tür, ein gewaltiger, vielfarbig schillernder Bausch
von ausladenden Röcken, die rauschend nach allen Seiten auseinanderfielen. Obwohl sie von der Unterstützung ihrer adeligen
Verwandtschaft lebte und jeden Pfennig umdrehen musste, hielt sie nach außen hin die Fassade der Dame von Stand aufrecht.
Jetzt erschien sie als Mittelpunkt eines schier unglaublichen Aufbaus von purpurrotem Samt, der auf Körben, Drahtgestellen
und Polsterungen ruhte und die menschliche Gestalt in seiner Mitte gewissermaßen verschlang. Sie schien keine andere Funktion
mehr zu haben als die, diesem monströsen Popanz vertikalen Halt zu verleihen.
»Hermine!« Louise erhob sich und streckte ihr die Hand entgegen. Sie fröstelte bei dem Gedanken an den Köcher voll spitzer
Pfeile, den die Baronin zweifellos mit sich trug. Hermine hatte schon früher bei jeder Gelegenheit einen dieser kleinen, schmerzhaften
Pfeile auf sie abgeschossen. »Ja, ich bin wieder da. Es hat sich alles als … Irrtum herausgestellt. Möchtest du eine Tasse Tee?«
»Gerne, und einen Schuss Rum dazu, wenn es keine Umstände macht. Ich bin völlig durchgefroren.«
Sie ließ sich auf dem Sofa nieder und lehnte sich aufseufzend in die schwellenden Kissen. Dann erinnerte sie sich an den Anlass
ihres Besuches und tupfte mit einem winzigen Taschentüchlein zierlich an ihren Augen herum, die vollkommen trocken waren.
»Was für eine schreckliche Sache! Deshalb bin ich sofort gekommen, um dir in deiner schwierigen Situation beizustehen.«
»Und welche Hilfe bietest du mir an?«, fragte Louise, obwohl sie die Antwort im Vorhinein wusste.
»Das kannst du dir doch wohl denken. Du musst Hamburg auf der Stelle verlassen. Nach diesem Skandal kannst du dich hier nicht
mehr blicken lassen. Noch nie hat ein Mitglied der Familie Paquin im Gefängnis gesessen. Wobei ich anmerken muss, dass du
ja kein Mitglied im eigentlichen Sinne bist … Eher eine Art Anhängsel. Aber immerhin hat Raoul dich geheiratet, und damit fällt die Schande auf die ganze Familie. Hierbleiben
kannst du auf jeden Fall nicht.«
»Nein?«
»Nein. Deshalb waren die Verwandten meines Gatten so großzügig, dir eine Zuflucht in ihrem Schloss anzubieten. Dort bist du
sicher vor allen Zudringlichkeiten der Presse und kannst in Ruhe abwarten, während wir hier die Stellung halten, bis man dich
vergessen hat. Dass es zu einem Prozess kommt, will ich ja wohl nicht hoffen.«
Louise kannte außer dem Baron niemanden der Familie
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