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Die Frau des Apothekers - Sandmann, C: Frau des Apothekers

Die Frau des Apothekers - Sandmann, C: Frau des Apothekers

Titel: Die Frau des Apothekers - Sandmann, C: Frau des Apothekers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Sandmann
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zurück.
    »Und wenn ich nicht will?«, sagte das Mädchen halblaut und schnappte sich das Kuvert aus Louises Hand. Im Gehen setzte sie
     gedämpft, aber deutlich hörbar hinzu: »Wer sind Sie denn? Madame Paquin – dass ich nicht lache! Der arme alte Herr, jetzt
     ist er tot, und wundern würde es mich nicht, wenn Sie diejenige wären, die   …«
    »Now, now, Anke«, meldete sich plötzlich Amys Stimme. Mit eiligen Schritten durchquerte sie die Eingangshalle, blieb vor der
     aufsässigen Dienstmagd stehen, die bereits einen Schritt vor das Schreibzimmer getan hatte, und richtete ihren Blick herausfordernd
     auf sie. »Du bist doch sicher froh, dass du gleich gehen darfst, bevor wir noch anfangen, das Silber und die Wäsche nachzuzählen?«
     Mit einem entschlossenen Griff riss sie Anke den Brief aus der Hand und sagte: »Du bist entlassen. Fristlos. Pack deinen Kram
     und verschwinde. Du hast fünf Minuten Zeit, dich auf die Beine zu machen, dann rufe ich die Polizei, und wir werden sehr,
     sehr genau nachsehen, ob etwas fehlt!«
    Anke wollte noch einmal aufbegehren. »Ich habe überhaupt nichts   …« Dann sah sie, wie Amy auf die zierlicheTaschenuhr blickte, die sie an einem Goldkettchen auf dem Revers angeheftet trug, und raste die Treppe hinauf zu ihrem Zimmerchen
     unterm Dach.
    Louise staunte. »Woher wollen Sie denn wissen, dass sie gestohlen hat? Sie hat eine freche und ungehobelte Art, aber eigentlich
     habe ich sie immer für ehrlich gehalten.«
    Die Engländerin trat näher, fasste ihren Ellbogen und flüsterte ihr zu: »Ich weiß gar nichts. Vielleicht hat sie ja gar nichts
     gestohlen. Aber die Wahrscheinlichkeit ist hoch, und selbst wenn Anke ehrlich ist, haben diese Mädchen immer Angst, wegen
     eines Diebstahls verdächtigt zu werden, denn das ruiniert ihre Chancen auf eine neue Stellung.«
    »Oh, Sie sind heimtückisch!«, rief Louise und fühlte Empörung in sich aufsteigen, aber dann dachte sie an den widerlichen
     Kaffee und die impertinenten Antworten und lächelte die neue Freundin an. »Ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie gekommen sind,
     ich wollte eben um Ihren Besuch bitten.« Sie wurde rot. »Ich möchte nämlich das Personal entlassen. Raouls Angelegenheiten
     sind vollkommen verworren, da Dr.   Schelling ihn nicht mehr vertritt und er all seine Papiere verbrannt hat; ich verfüge also nicht einmal über das Geld, um
     die Leute noch einen Tag länger zu bezahlen. Außerdem sind sie frech und aufsässig, und ich will keine Dienstboten um mich
     haben, die mich für eine Mörderin halten. Da wollte ich Sie bitten, dass Sie kommen und   …«
    »Sie brauchen mich als moralische Unterstützung im Kampf mit den Dienstboten?«
    »Ja. Ich   … ich fürchte, dass ich das allein nicht durchstehe.« Louise blickte beschämt zu Boden, Tränen in den Augen. Wie albern musste
     sie dieser tüchtigen jungen Dame erscheinen!
    »Absolutely! Sie können ganz über mich verfügen. Ich bin froh, dass Sie bei mir Hilfe suchen.« Wenn eine Frau in Not um Amys
     Hilfe bat, war die junge Engländerin nicht mehr zu halten. Sie rieb sich die Hände und schritt sogleich zur Tat. »Dann lassen
     Sie uns jetzt Ihre guten Geister einen nach dem anderen hinauswerfen!«
    Dass sie beim Personal nicht beliebt war, hatte Louise schon länger gewusst. Dienstboten mochten keine Herrinnen, die früher
     nichts Besseres gewesen waren als sie selbst. Aber auf den Abscheu, der ihr jetzt entgegenschlug, war die junge Frau nicht
     gefasst gewesen. Jeder Einzelne, vom Butler bis zum Küchenmädchen, schien fest überzeugt, dass sie ihren Gatten ermordet hatte.
     Jetzt, wo die Leute sich keine Gedanken mehr um ihre Stellung zu machen brauchten, ließen sie die Witwe gnadenlos spüren,
     wie unsympathisch sie ihnen war. Und alle meinten, ganz genau zu wissen, was in der fraglichen Nacht vorgefallen war. Louise
     fühlte sich, als wäre sie urplötzlich der Hexerei beschuldigt worden – mit Frederick Hansen in der Rolle des Buhlteufels.
     Erst jetzt wurde ihr klar, wie dumm sie gehandelt hatte, als sie sich von ihrem Bedürfnis nach Zuwendung hatte mitreißen lassen.
     Auch weniger fantasievolle Charaktere mussten nach dieser gemeinsamen Nacht annehmen, dass zwischen ihnen schon länger ein
     geheimes und verderbliches Einverständnis bestanden hatte.
    Die Vornehmeren unter den Dienstboten begnügten sich mit dem Ausdruck frostiger Verachtung. Sie ersuchten, auf dem Zeugnis
     festzuhalten, dass sie von sich aus gekündigt

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