Die Frau des Apothekers - Sandmann, C: Frau des Apothekers
eine zutiefst
erbitterte Hermine von Pritz-Toggenau. Sonst war das Haus leer.
»Kam schon jemand zum Kondolieren?«, fragte Louise mit der unheilvollen Vorahnung, dass sich den ganzen Tag niemand hatte
blicken lassen. Das Kondolenzbuch war leer. Sie war blass und müde von den Anstrengungen des Tages, und erst jetzt wurde ihr
bewusst, wie sehr es sie die vergangenen Tage belastet hatte, in Verdacht zu stehen. Doch freuen konnte sie sich nicht; zu
sehr deprimierte sie der Gedanke, dass offenbar niemand bereit sein würde, Raoul das letzte Geleit zu geben. Wie würde das
aussehen – der prächtige Leichenzug, den er bestellt hatte, und keine Trauergäste! Als würde ein Hund verscharrt.
»Niemand.« Hermines Stimme klang bitter. »Raouls Freunde scheinen sich nicht mehr an ihn zu erinnern.«
Louise zitterte. Ihr traten Tränen in die Augen. »Er tut mir so leid! Er war ein Mensch, der es wirklich verdient hätte, mit
Lorbeeren zu Grabe getragen zu werden, und jetzt ignorieren sie ihn alle, nur weil er zuletzt krank war. Und ich kann esihnen nicht einmal verdenken. Er konnte unendlich beleidigend sein. Sogar den guten Abbé Maxiant hat er vergrault. Ich glaube,
sie haben Angst, sich hier blicken zu lassen. Wäre er eines ganz normalen Todes gestorben, so wären sie vermutlich gekommen.
Aber bei all dem Gerede …«
Frederick nickte. »Sie warten ab. Sie handeln zwar nicht anständig, aber klug, denn die Zeitungen sind voll von schmutzigen
Andeutungen.«
Hermine presste die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen. »Und wem verdanken wir das Gerede und die schmutzigen Andeutungen?«
Louise stieg eine leuchtende Röte in die Wangen. »Einer sensationslüsternen Presse und einem übereifrigen Polizisten, der
sich für eine Abfuhr an mir rächen wollte. Wir haben den Tag auf dem Polizeirevier verbracht, und Polizeirat Heidegast persönlich
hat uns erklärt, dass ich nicht mehr unter Verdacht stehe.«
»Wie reizend.« Hermine war anzusehen, dass sie im Innern vor Wut und Frustration kochte. Das Abschiednehmen prominenter Freunde
war in ihren Augen der wichtigste Teil der Bestattung. Wenn alles, was Rang und Namen hatte, an dem offenen Sarg vorbeidefilierte
und sich ins Kondolenzbuch eintrug, wollte sie in erster Reihe stehen. Und das sollte ihr nun vorenthalten werden?
Der drohende Streit wurde durch Paula Hahnes Eintreten unterbrochen. Louise stellte überrascht fest, dass die Organisatorin
des Begräbnisses trotz der vielfältigen Pflichten, die seit drei Tagen auf ihr lasteten, munter und tatendurstig aussah. Sie
hielt einen Packen Papiere in der Hand, auf denen sie verschiedene Posten abhakte und andere unterstrich. Mit einem scharfen
Blick in die Runde bemerkte sie: »Ganz gleich,wie sorgfältig man ist, zum Schluss fehlt immer das eine oder andere.«
»Ja, vor allem die Trauergäste werden knapp«, bemerkte Louise.
»So schlimm ist es nicht.« Paula ignorierte Louises Zynismus und umschritt den aufgebahrten Sarg. Sie hakte weitere Positionen
ab. »Ich habe mir natürlich auch Sorgen gemacht, als kaum jemand kondolierte, also habe ich einen offiziellen Leichenbitter
ausgeschickt zu den Leuten, die Raoul als persönliche oder geschäftliche Freunde angesehen hatte. Und auf diesem Wege kam
rasch die Antwort – etwas verklausuliert, wie du dir vorstellen kannst: Man sei selbstverständlich entschlossen, Raoul mit
allen Ehren auf seinem letzten Weg zu begleiten, wolle sich aber wegen gewisser übler Gerüchte deutlich von seinem Haushalt
distanzieren. Man werde sich dem Trauerzug deshalb anschließen, sobald dieser bei der Kirche angekommen sei, der Totenmesse
beiwohnen und dann zum Friedhof ziehen.«
»Wie diplomatisch«, bemerkte Louise bitter. »Beim Trauerzug meines Gatten würde ich …«
Paula, in Gedanken ganz bei den Einzelheiten der Organisation, nahm keine Rücksicht auf die Gefühle der Witwe. »Am besten,
du drängst dich nicht vor. Es fährt eine geschlossene Trauerkutsche für gebrechliche Angehörige, die nicht zu Fuß gehen können,
mit, da setzt du dich mit Hermine hinein, und außerdem bist du sowieso tief verschleiert. Am Grab machst du dann schnell,
und ehe jemand dich richtig bemerkt, bist du schon wieder weg.«
Louise ärgerte sich, aber sie wusste, dass Paula recht hatte. Es wäre angebracht und wohl auch das Beste für alle, sie würde
auf der Beerdigung ihres Gatten kaum sichtbar sein. »Hörstdu, Raoul?«, sagte sie, dem Sarg
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