Die Frau des Apothekers - Sandmann, C: Frau des Apothekers
niemand Respekt vor ihr? Traute ihr niemand zu,
scharfsinnige Untersuchungen anzustellen? Die werden sich alle noch wundern, dachte sie und versuchte, sich nichts von ihrem
Unmut anmerken zu lassen. Sie winkte Frederick, und dieser stellte die unter dem Wachstuch verborgene Kassette auf den Schreibtisch
und zog die Hülle weg. Ein mit rotem Lack überzogenes Chinoiserie-Kästchen kam zum Vorschein. »Bitte sehr!«, verkündete sie.
»Das hier war schuld am Tod meines unglücklichen Gatten!«
Neugierig klappte Heidegast den Deckel auf, blickte hinein und schnaubte angewidert. »Was soll das sein, und woher haben Sie …«
Louise richtete sich kerzengerade auf, die Hände auf demRücken ineinandergelegt, wobei sie einige Ähnlichkeit mit einem Schulmädchen hatte, das ein langes Gedicht aufsagte, und berichtete
in allen Einzelheiten, was sie herausgefunden hatte.
Als Louise geendet hatte, klingelte Heidegast nach dem Subalternen im Vorzimmer und gab den Auftrag, das Behältnis sofort
zur chemischen Analyse ins Labor zu bringen. »Wenn unsere Laboranten das Ergebnis bestätigen«, sagte er, »dann werden alle
Untersuchungen gegen Sie oder andere Personen selbstverständlich eingestellt.«
»Und wer entschuldigt sich?«, wollte Amy wissen. »Wer entschuldigt sich bei einer unglücklichen jungen Witwe, deren guter
Ruf von Ihren Schergen in den Dreck gezogen wurde? In den vergangenen Tagen musste sie jeden Moment damit rechnen, wieder
eingesperrt zu werden. Sie hatte keine ruhige Minute.«
»Sagen Sie den Zeitungen, sie sollen sich entschuldigen«, brummte Heidegast. »Wir haben nur unsere Pflicht getan.«
6
Wilhelm Heidegast empfand beträchtliche Erleichterung darüber, dass er den Fall Paquin endgültig zu den Akten legen konnte.
Für den Apotheker selbst und seine Angehörigen war der Vorfall zweifellos eine Tragödie gewesen, aber Heidegast fand, dass
unter den zu bearbeitenden Fällen weitaus Wichtigeres verzeichnet stand als die tödliche Torheit eines alten Mannes.
»Damit ist die Affäre Paquin endgültig abgeschlossen«, wandte er sich an Gützlow. »Armer alter Bursche, aber er hat sein klägliches
Ende nur seiner eigenen Dummheit zuzuschreiben. Monatelang ein solches Höllengebräu zu schlucken, das hätte kein Ross überlebt.
Ehrlich, da sehe ich eher zu, wie meine Frau sich einen Liebhaber nimmt, als dass ich mich auf diese Weise …«
Ludwig Gützlow grinste, was ziemlich verwegen aussah, da ihm ein Eckzahn fehlte. Er kannte die häuslichen Verhältnisse seines
Vorgesetzten, der mit einer verblühten und – was noch weitaus schlimmer war – zanksüchtigen Ehefrau geschlagen war. Vermutlich
wäre Heidegast dankbar gewesen, hätte seine Frau ihre Aufmerksamkeit auf einen anderen Mann gerichtet und ihn in Frieden gelassen.
Der Fall war abgeschlossen, und Gützlows Dienstzeit war für diesen Tag beendet, aber er hatte keine Lust, sich zu verabschieden
und durch den Eisregen und den heulenden Wind nach Hause zu laufen. Ein Zuhause, das aus dem abgenutzten Zimmer einer Kapitänswitwe
bestand, bei der er als »möblierter Herr« wohnte. Da sein Vorgesetzter sich in einer zugänglichen Stimmung befand, wagte er
sich also mit einer Theorie hervor.
»Seltsam ist die Sache aber doch, Herr Polizeirat. In dem Haus hat praktisch jeder ein Motiv – und ausnehmend günstige Gelegenheiten
gab es zuhauf.«
»Mag sein, aber schuld an der Misere war letzten Endes ein mongolischer Quacksalber.«
»Zweifellos. Und dennoch! Mir gefällt es nicht, wenn so viele potenzielle Täter herumlaufen, und es gibt keine Tat. Als sähe
man irgendwo einen Haufen Raben, aber kein Aas. Ich würde gerne an der Sache dranbleiben.«
Heidegast schüttelte mit einer müden Geste den Kopf. »Wenn wir in Pension wären, würde ich sagen: Gut, sehen wir uns die Sache
noch einmal mit der Lupe an! Aber da es dem Polizeidirektor gefällt, uns beiden die Arbeit von fünf Beamten aufzubürden, werden
wir einen Fall, der mit 9 9-prozentiger Wahrscheinlichkeit nur eine zufällige Vergiftung war, vergessen und uns den anderen zuwenden.«
Gützlow erhob keinen Widerspruch, aber wie der Polizeirat ihn kannte, würde er nicht so rasch aufhören, über die Affäre Paquin
nachzugrübeln.
Dritter Teil
Glitzerndes Geld
A bschied von H errn P aquin
1
Als Louise, Frederick und Dr. Thurner in das Kontorhaus am Jungfernstieg zurückkehrten, fanden sie im Theatersaal die Nonnen vor und im Salon
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