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Die Frau des Apothekers - Sandmann, C: Frau des Apothekers

Die Frau des Apothekers - Sandmann, C: Frau des Apothekers

Titel: Die Frau des Apothekers - Sandmann, C: Frau des Apothekers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Sandmann
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Gegenteil, Türen und Fenster waren weit geöffnet, der größte Teil des
     Lebens spielte sich auf den Gassen und auf den steilen hölzernen Treppen ab, unter denen sich die Aborte befanden. Deren Inhalt
     wurde vom Regen in die Fleete gespült – dieselben Fleete, aus denen die Bewohner ihr Wasch- und Trinkwasser holten.
    Fremde wurden in dieser Gegend nicht freundlich empfangen. Louise sprang gerade noch rechtzeitig zur Seite, als ein Rudel
     schmutziger Kinder anfing, sie mit faulen Gemüseresten zu bewerfen. Pfiffe und anzügliche Bemerkungen hallten den zwei Frauen
     nach, ja einige der herumlungernden Männer machten Anstalten, sich ihnen zu nähern. Erst als der Wachmann ihnen ein paar barsche
     Worte zurief und die Hand an den Säbelgriff legte, wichen sie zurück. Der Anwalt, der in Ausübung seiner Dienste für den Rechtsschutzverein
     wohl schon öfter solche Expeditionen unternommen hatte, zeigte sich unberührt, selbst als ein rotznasiger Bengel von einer
     Treppe herab auf seinen Hut spuckte.
    Louise bekam Angst, sie würden den Weg in weniger gefährliche Gegenden nicht mehr finden, denn die zwielichtigenGänge verliefen durch Tore und Durchhäuser in weitere Labyrinthe. Nur gebückt gelang es ihnen, das Innere eines dieser Hinterhöfe
     zu erreichen. In dem Hof, auf dem sie wie auf dem Grund eines verfallenen Brunnens standen, hatte ein Lumpenhändler sein Gewerbe.
     Auf wackeligen Tischen ausgebreitet lagen alte Kleider und elender Hausrat. In Eimern häuften sich gelbe Tierknochen, wie
     man sie zum Leim- und Seifensieden verwendete. Halb unter der Erde befanden sich hier noch weitere Wohnungen, von Schimmel
     zerfressene Höhlen, in die kaum jemals Tageslicht drang. Fast im Finstern drängten sich dort Erwachsene und Kinder, Kranke
     und Gesunde, Greise und Säuglinge um denselben Tisch, auf demselben Lager.
    In diesem Loch waren sie an der richtigen Adresse. Über einer rot angestrichenen Tür hing an einem eisernen Arm ein Geschäftsschild,
     dessen Beschriftung aus unleserlichen, sich schlängelnden Charakteren bestand. Hoch erhobenen Hauptes, als sei er der Anführer
     der kleinen Gruppe, schritt Frederick quer durch den Hof auf den Laden zu und öffnete die Tür. Die anderen folgten ihm.
    Nirgendwo war ein Ladeninhaber oder Kommis zu sehen; es herrschte tiefes, bedrückendes Schweigen. Das Gewölbe lag in einem
     düsteren Zwielicht vor ihnen. Die Luft war schal, die Fenster schon lange nicht mehr geöffnet worden, und es war kalt, eine
     feuchte Kälte, die einen seit Längerem nicht benutzten Ofen verriet. Beißender Geruch strömte aus den Tabakblättern, die in
     Büscheln von den Deckenbalken hingen, und den ebenfalls gedörrten Tieren, Fröschen, Schlangen, Eidechsen, die dazwischen baumelten.
     In den Ecken des Gewölbes lagen und lehnten, alle sorgfältig auf Englisch beschriftet, Bündel von exotischen Hölzern, Harzen,
     Wurzeln, Früchtenund Blättern. Die Regale hinter der Ladentheke waren gefüllt mit einem Sammelsurium von Kerzen, Wasserpfeifen, Gewürzdosen,
     Räucherpulver und Flaschen mit hochprozentigen Alkoholika, vor allem kubanischem Rum. Schatullen von der Art, die sie suchten,
     befanden sich allerdings nicht hier.
    »Vielleicht finden wir ähnliche Schatullen oder Phiolen im Hinterzimmer.« Die furchtlose Amy drängte zu der Tür, die sich
     zwischen den Regalen öffnete.
    Der Wachmann allerdings schob sie beiseite. »Das lassen Sie lieber mich machen, Fräulein. Wer weiß, was uns da drinnen erwartet.«
     Vorsichtig näherte er sich der Tür zum Hinterzimmer, stieß sie auf und spähte hinein. Dann rief er mit heiserer Stimme nach
     dem Anwalt. »Dr.   Taffert? Lassen Sie die Frauen nicht herein, hier sieht es schlimm aus!«
    Da war es schon zu spät. Die drei Männer und die Frauen drängten hinter ihm über die Schwelle, wobei sie ihre Taschentücher
     vor die Nase hielten, denn aus dem Raum drang der unverkennbare Geruch faulenden Fleisches. Es war eine Wohnstube, ebenso
     verdunkelt wie der Laden vorne. In dem Bett lag ein aufgedunsener Körper, auf dem Rücken ausgestreckt, die Füße auf dem Kissen,
     den Kopf an der Fußseite des Bettes. Arme und Beine waren mit Reepschnur gefesselt. Auf dem Leintuch zeichneten sich gelbliche,
     übel riechende Flecken ab, wo Körperflüssigkeiten ins Gewebe gesickert waren.
    Louise trat näher. Mit angehaltenem Atem blickte sie in ein flaches, kupferfarbenes, von bläulichen Fäulnisflecken entstelltes
     Gesicht, dessen

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