Die Frau des Apothekers - Sandmann, C: Frau des Apothekers
Geschäfte baten, gab sie die Adresse des Anwalts bekannt. Sie möchten ihre Bitten und Angebote
dort schriftlich vorbringen, man würde zu gegebener Zeit darüber entscheiden.
Im Übrigen erschienen auch einige der Herren, die die Frau des Apothekers immer schon charmant gefunden hatten und jetzt,
da sie reich war, schier unwiderstehlich fanden. Zum ersten Mal war Amy froh, dass Frederick zwischen Louise und diesen Raubrittern
stand. In ihrer ungenierten Art erklärte sie ihm: »Ein Teufel, den man kennt, ist besser als ein Engel, den man nicht kennt,
also sehen Sie zu, dass Sie meine liebe Louise vor Dummheiten bewahren.«
Von da ab hielt sich Louise von morgens bis abends in der Apotheke auf. Aufmerksam beobachtete sie, wie die Angestellten Arzneien
zubereiteten, wie sie mit dem Hornlöffel die Portionen aus Tiegeln und Büchsen abmaßen, abwogen, rührten und mischten, dann
in ein Fläschchen füllten, ein rotes Etikett mit dem Namen der Mischung draufklebten und zuletzt einen Zettel an den Flaschenhals
banden, auf dem stand, wann welche Dosis einzunehmen war. Kamen Lieferungen an, so ging sie hinaus in den schmalen, düsteren
Hof, wo dieGehilfen die Kisten auspackten. Wenn der Kellerhals geöffnet wurde, erinnerte sie sich an die kindliche Freude, die sie erfüllt
hatte, sooft Raoul ihr erlaubt hatte, Vorräte hinunterzutragen: die stärkenden Gewürzweine für die Schwerkranken, die Tonkruken
mit den Quellwässern aus Karlsbad und viele Flaschen mit aromatischen Flüssigkeiten zum Einreiben und Inhalieren. Unten am
Ende der Kellertreppe, wo es kalt war und nach Erde roch, hatte Raoul gestanden, die Laterne in der Hand. Er hatte ihr die
Last abgenommen, die Flaschen gegen das Licht gehalten, um zu sehen, ob der Inhalt rein und klar war, und sie zuletzt mit
aller Vorsicht auf die Holzgestelle gebettet, die an den Wänden entlangliefen.
Jetzt war der Magister Schlesinger an seine Stelle getreten. Sein Verhalten gegenüber Louise hatte sich merklich verändert,
seit sie ihm geholfen hatte, den Thesaurus an sich zu bringen. Er wehrte die junge Frau nicht mehr ab, wenn sie ihm beim Arbeiten
über die Schulter blickte, und beantwortete ihre eifrigen Fragen. Oft schlug er Bücher auf und zeigte ihr Bilder und Beschreibungen
der exotischen Drogen, die ihn am meisten interessierten.
»Sie haben zweifellos den Eindruck gewonnen«, sagte der Magister, »dass es sich bei solchen ausländischen Mixturen durchwegs
um entweder schädliche oder wirkungslose, unappetitliche Zubereitungen handelt. Das ist jedoch nicht der Fall. Wir anmaßenden
Europäer nehmen zu schnell an, dass andere Völker sich niemals vernünftige Gedanken über Krankheiten und Heilmittel gemacht
hätten. Natürlich ist vieles ein Produkt von Aberglauben, aber das sind viele unserer Arzneien auch.«
»Meine Güte«, sagte Louise und lachte, »lassen Sie das Dr. Thurner nicht hören!«
»Ich glaube, das weiß er recht gut.« Er fuhr mit ungewohntem Eifer fort: »Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, dass unsere
Kunden überzeugt sind, Arzneien in schwarzen Flaschen seien viel kräftiger und schärfer als solche in durchsichtigen Flaschen?
Oder dass große, bunt gefärbte Pillen wirksamer seien als kleine, weiße? Und wenn dann gar noch ›ägyptisch‹ oder ›amerikanisch‹
auf dem Etikett steht, werden die Kranken schon vom Lesen gesund. Das nenne ich unseren Aberglauben. Verstehen Sie das nicht
als Kritik. Ich bin vielmehr überzeugt, dass Heilmittel nicht nur auf den Körper wirken, sondern auch auf die Seele, und wenn
diese überzeugt ist, das Mittel sei hilfreich, wird der Körper willig gesunden.«
Noch nie hatte Louise ihn so viel auf einmal reden gehört. Bis jetzt war sie der Überzeugung gewesen, er und Raoul hätten
das seltsame Zeug im Thesaurus nur aufbewahrt, um daran die Primitivität der Ausländer im Gegensatz zur abendländischen Wissenschaft
zu demonstrieren. Sie erfuhr mit Staunen, dass es sich mit der Heilkunde nicht so verhielt, wie sie immer gedacht hatte –
eher umgekehrt.
»Die Chinesen, Frau Paquin, hatten schon Jahrhunderte vor uns eine sorgfältig ausgearbeitete Heilkunde, die auch in Lehrbüchern
festgelegt wurde. Sie hatten ausgebildete Gerichtsmediziner für verdächtige Todesfälle. Die alten Ägypter waren hoch qualifizierte
Ärzte und Pharmazeuten. Die Araber waren uns ebenfalls weit voraus, während den Germanen außer der Wundversorgung nach ihren
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