Die Frau des Apothekers - Sandmann, C: Frau des Apothekers
Geschöpfe wir sein können?«
Louise schwieg vorsichtig. Sie fand Fräulein Becker zwar imponierend, aber in keiner Weise überirdisch.
Glücklicherweise erkundigte sich Amy nicht nach dem Grund ihrer Zurückhaltung, sondern schwatzte voll Entzücken weiter. Dabei
zog sie die Freundin hinter sich her durch den Salon und stellte sie da und dort einer der anwesenden Damen vor. Alle waren
von einer freudigen Erregung erfasst, wie Louise sie niemals nach einem bloßen Vortrag über das Leben in den Kolonien erwartet
hätte. Wie Amy schienen sie alle mit großen, ekstatischen Augen in eine Zukunft zu blicken, in der die Erde von Fräulein Beckers
bevölkert war.
Sie schalt sich selbst für ihre Bosheit. Besser lauter Fräulein Beckers, hielt sie sich vor, als Frauen wie Eugenie oder Hermine.
Immerhin war die Kolonistin eine gebildete, arbeitstüchtige Frau, die sich Schulter an Schulter mit den Männern ihrer Familie
einer feindlichen Natur entgegenstellte, der Wüste fruchtbares Land abrang und mit den einheimischen Nachbarn, deren Lebensart
Louise völlig fremd war, zurechtzukommen schien.
Plötzlich stand sie selbst vor der allseits Bewunderten. Verlegen streckte sie ihr die Hand entgegen. »Mein verstorbenerMann war Apotheker, deshalb war Ihr Vortrag sehr bereichernd für mich.«
»Dann interessieren Sie sich also auch selbst dafür?«
»Ja, sehr sogar. Aber in Hamburg ist es Frauen nicht gestattet, eine Ausbildung zur Apothekerin zu machen.«
»Das kann sich bald ändern. Es heißt, dass Frauen schon im nächsten Jahr zum Universitätsstudium zugelassen werden sollen.
Und außerdem: Wussten Sie, dass eine Frau, Elisabeth Fersterin, schon 1785 die Approbation erlangte?«
»Vor hundert Jahren? Das kann nicht wahr sein. Wie hat sie das geschafft?«
»Sie gab an, ihre Tätigkeit ausschließlich in der Apotheke eines Frauenklosters ausüben zu wollen. Unter diesen Umständen
erhielt sie Ausbildung und Diplom vom Münchner Stadtapotheker Franz Xaver Osternmayer. Leider blieb das bis heute ein Einzelfall.
Aber wie gesagt, es kann schon nächstes Jahr so weit sein, dass Ihnen die Türen der Universität offen stehen, und wenn es
Ihnen hier nicht möglich ist, gehen Sie nach Bayern, dort ist man weitaus großzügiger. Oder kommen Sie nach Afrika.«
Louise lachte verlegen.
»Nein, ich meine es im Ernst!«, rief Fräulein Becker. »In den Kolonien ist das Leben anders als hier. Dort zählt nur, was
man kann und bereit ist zu tun. Mein Vater hat eine Apotheke in Swakopmund, das ist der Hafen, in dem die Einwandererschiffe
landen, und wir machen regelmäßig Ritte über Land, um kleine Siedlungen zu versorgen. Meinen Sie, da kümmert sich jemand darum,
ob Sie eine Frau sind? Und von den Eingeborenen wird man gut aufgenommen, denn in Afrika ist die Medizin Frauensache. Sie
müssten nur einmal die weisen Frauen der Herero – das ist der größte Negerstammin der Kolonie – kennenlernen. Es ist ganz erstaunlich, was diese Frauen ohne jede wissenschaftliche Grundlage allein aus
der Weisheit der Überlieferung und ihrer intuitiven Erkenntnis an Heilungen vollbringen. Jede von ihnen hat ihre Kräutersammlung
mit geheimen Rezepten, in die sie niemand anderen einweiht. Sie sind mächtige Heilerinnen, allerdings auch erfahren im Umgang
mit allerhand üblen Substanzen, sodass man besser nicht ihren Unwillen erweckt. Wir hörten die Geschichte von einem Soldaten,
der eine solche Frau beleidigt hatte – fragen Sie mich lieber nicht, was sie ihm antat!«
Louise hörte angespannt dem Redefluss der Vielgereisten zu. Das Thema interessierte sie wirklich, schon deshalb, weil Fräulein
Beckers Erfahrungen sich weitgehend mit denen des Magisters deckten, der der Meinung war, dass der sogenannte Aberglaube eine
kluge Einwirkung auf die Seelenkräfte sein konnte. Allerdings wagte sie nicht, die Ansichten eines Mannes in diesem Kreis
zu erwähnen.
»Nun? Wirst du wiederkommen?«, fragte Amy, als sich die Damenriege allmählich verlief. »Wir laden nächste Woche zu einem Abend
mit Kammermusik.«
Louise, die wusste, dass sie ein Nein nicht akzeptieren würde, zögerte mit der Antwort. »Der Vortrag hat mir gut gefallen,
Amy. Wenn du wieder so etwas veranstaltest, komme ich gerne. Aber Geselligkeiten kann ich im Augenblick nicht vertragen. Ich
will mich ganz auf die Apotheke konzentrieren.«
Amy umarmte die Freundin mit echter Zärtlichkeit. »Ach, Louise. Ich bin froh, dass es dir bei
Weitere Kostenlose Bücher