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Die Frau des Apothekers - Sandmann, C: Frau des Apothekers

Die Frau des Apothekers - Sandmann, C: Frau des Apothekers

Titel: Die Frau des Apothekers - Sandmann, C: Frau des Apothekers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Sandmann
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machst du denn da drinnen? Ist dir nicht wohl? So antworte doch!« Sie hämmerte mit beiden Fäusten gegen die Badezimmertür.
     »Raoul!«
    Hinter der Tür blieb es still. Es gab keinen Zweifel mehr, dass dem Apotheker Paquin etwas Böses widerfahren war und sie nichts
     anderes tun konnten, als gewaltsam ins Badezimmer einzudringen.
    Der Hausknecht wurde geholt, ein Mann von beachtlichen Körperkräften. Er rammte die Schulter einmal gegen die Tür, und sie
     bog sich in kreischenden Angeln, ein zweites Mal, und sie splitterte aus Schloss und Angeln und fiel in den Raum dahinter   … und in einen See von Blut.
    Die Dienstmädchen – inzwischen hatten sich alle vier am Schauplatz versammelt – kreischten. Schlesinger flüchtete die halbe
     Treppe hinunter und blieb dort stehen, käsebleich und am ganzen Leib zitternd. Paula Hahne presste die Hand auf den Mund und
     hastete würgend auf den Abort. Louise Paquin schrie gellend auf und schlug die Hände vors Gesicht. Ihre Zofe stürmte die Marmortreppe
     hinunter mit markerschütternden Schreien: »Der arme Herr – der Herr ist tot – er hat sich umgebracht   –«
    Im Badezimmer brannte nur die tief heruntergedrehte Gaslampe über dem Spiegel und malte eine Insel matter Helligkeit in den
     von Zwielicht umschatteten Raum. Inmitten dieser Insel lag, beleuchtet wie eine Figur in einer Camera obscura, nackt bis auf
     die Unterhose und seine weiße Nachtmütze, der Herr des Hauses mit durchschnittener Kehle. Das Rasiermesser war ihm aus der
     Hand gefallen und klebte in der stockenden Pfütze bräunlichen Blutes, die sich um Kopf und Oberkörper herum ausgebreitet hatte.
     Er musste sich den Hals im Stehen durchgeschnitten haben, denn das Blut aus der dicken, pulsierenden Ader am Hals war über
     das Waschbecken und den Spiegel darüber gespritzt, ja bis
an die Wand oberhalb des Spiegels, wo es in Schlieren über die Ölfarbe rann. Ein widerwärtiger Geruch herrschte im Raum, aus
     Blutdunst und dem scharfen Rauch verkohlender Papiere, von denen ein dickes Bündel in der Klappe des gusseisernen Badeofens
     steckte.
    Louise war so erstarrt vor Entsetzen, dass sie weder weinen noch schreien konnte. Sie stand unbeweglich da, den Blick fest
     auf das grausige Bild gerichtet, und sagte nur: »Armer Raoul.«
    Auch die anderen waren verstummt. Emil war offensichtlich geschockt, aber wohl eher vom Anblick der Leiche als von einem Gefühl
     des persönlichen Verlusts. Dr.   Thurner schien mehr Zuneigung zu dem Verstorbenen empfunden zu haben, als seine bissige und sarkastische Art nach außen hin
     spüren ließ. Paula Hahnes Gesicht war fleckig vom Speien, ihre Augen verwirrt, ihre Hände öffneten und schlossen sich in einem
     fort. Frederick wirkte wie ein Sohn, der seinen Vater verloren hatte, nicht wie ein Bediensteter nach dem Tod seines Herrn.
     Sigmund Schlesinger sah betroffen aus, aber nicht wirklich betrübt. Er war kein herzlicher Mensch. Seine Zuneigung zu Herrn
     Paquin hatte in untadeliger Arbeit ihren Ausdruck gefunden.
    Lady Amy unterbrach Louises Bericht: »War es zweifellos Selbstmord?«
    »Ja. Daran kann kein Zweifel bestehen. Man konnte deutlich sehen, dass der Riegel an der Innenseite der Tür vorgeschoben gewesen
     war, als sie eingedrückt wurde. Der Schlüssel steckte noch in dem vom gewaltsamen Aufbrechen verkrümmten Schloss. Aber es
     nimmt ja auch niemand an, dass ich ihm die Kehle durchgeschnitten habe. Sie sagen, es sei Gift im Spiel gewesen, denn da war
     diese Zeichnung auf dem Spiegel   …«
    Sie fuhr fort zu erzählen, krampfte die Hände ineinanderbei der Erinnerung daran, wie auf der Straße allmählich ein böses Murren hörbar wurde, als das Gerücht die Runde machte, Herr
     Paquin sei von seiner Gattin ermordet worden.
    Noch wusste niemand in der unmittelbaren Umgebung des Löwenhauses Genaueres darüber, was dort geschehen war, aber wie sich
     das Brodeln kochenden Wassers durch ein Zittern, ein Auftreiben von Bläschen, eine Unruhe in der Flüssigkeit ankündigt, so
     wurde diese Umgebung von einer unsichtbaren Spannung durchzogen, als die entsetzte Zofe auf die Straße herausgestürzt kam.
     Das Mädchen trug seinen Mantel über dem Arm und einen Pappkoffer in der Hand, ihr Hut saß schief auf dem aufgelösten Haar,
     die weiße Schürze hatte sie abzubinden vergessen. Sie bebte am ganzen Körper, und dieses Beben schien sich allem Lebendigen
     um sie herum mitzuteilen – der stille Alarm einer aufgebrachten und aufgeschreckten

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