Die Frau des Apothekers - Sandmann, C: Frau des Apothekers
reich und zufrieden gemacht hatte, war an dem grauenvollen Morgen mit ihrem Gatten gestorben.
Sie stand wieder dort, wo sie vor zwei Jahren gestanden hatte: Allein in der Welt, ohne Verwandte und Freunde. Und dann, was
ihr einen neuerlichen Schock versetzte, wurde ihr bewusst, dass auch die Apotheke verloren war. Mit Raouls Tod war die Konzession
erloschen, sie würde vom Staat neu vergeben werden, und niemand wusste, an wen.
Louise liebte die Apotheke, auch wenn sie mit dem Geschäft gar nichts zu tun hatte. Vom ersten Tag an war sie von dem Gewölbe
begeistert gewesen. Aufgeregt hatte sie die weißen Porzellanschilder angestaunt und zu enträtseln versucht, was auf Lateinisch
darauf geschrieben stand. Sie hatte in den Schubladen und Regalen gekramt, die gläsernen Stöpsel herausgezogen und am Inhalt
gerochen, oder sie hatte von den Cremes probiert, die nach Raouls eigenen Rezepten hergestellt wurden. Anfangs war ihr Entzücken
das eines Kindes gewesen, dem man einen Kaufmannsladen auf den Gabentisch stellte. Bald jedoch hatte sie angefangen, intelligente
Fragen zu stellen, und Raoul, der Vergnügen an ihrem Interesse fand, hatte sie ihr beantwortet. Freilich hatte er nicht angenommen,
dass irgendeine Ernsthaftigkeit dahintersteckte. Für ihn war es das Spiel eines Kindes mit einem neuen, reizvollen Spielzeug
gewesen, und es hatte ihm geschmeichelt, dass sie so viel Freude an seinem Lebenswerk hatte. Louise war bald bitter bewusst
geworden, dass er sie nicht ernst nahm. Vielleicht hatte er sich überhaupt eine so kindlich junge Frau gesucht, damit er sie
eben nicht ernst nehmen musste, damit sie immer sein hübsches Spielzeugblieb, eine Nippsache wie die porzellanene Tänzerin auf der Spieldose im Salon.
Sie jedoch hatte es ernst gemeint. Ihre Faszination war mit jedem Tag tiefer geworden. Gerne hätte sie gelernt, was die männlichen
Gehilfen lernten, hätte mit Hand angelegt bei der Zubereitung von Salben und Pastillen. Wenn man einer Frau zutraute, dass
sie kochen konnte, warum traute man ihr dann nicht zu, Fett und Kräuter, Vaseline und Parfüm nach Anleitung zu verrühren?
Gewiss, man musste lange studieren, um die schwierigen und gefährlichen Rezepte zuzubereiten, doch wenigstens diese einfachen
Hilfsarbeiten hätte Raoul ihr erlauben müssen. Aber dass sie ernsthaft seinen Beruf erlernen wollte, das war ihm zu viel des
Guten gewesen. Und der Provisor war ihrem Vorhaben geradezu feindselig begegnet. Eine Apotheke, hatte dieser ihr einmal höflich,
aber entschieden erklärt, sei kein Spielzeug; es sei dort alles zu ernst und gefährlich, um darin wie in einem Kaufmannsladen
herumzukramen. Und auf ihre naive Äußerung hin, sie wolle auch gern Apothekerin werden, hatte er sie mit einem kalten Lächeln
bedacht. »Das schlagen Sie sich gleich aus dem Kopf, Frau Paquin. In Hamburg darf keine Frau die Ausbildung zur Apothekerin
machen, auch wenn manche Frauen noch sosehr darauf drängen.«
Das sonst so schmucke Löwenhaus hatte sich drastisch verändert, bemerkten die beiden jungen Frauen, als sie jetzt davor aus
der Kutsche stiegen. Das Haustor war mit Portieren aus schwarzem Samt dekoriert, die Fensterläden geschlossen. Stroh war vor
die Tür gestreut worden, um den Lärm der Pferdehufe und Wagenräder vor dem Trauerhaus zu dämpfen. Am gusseisernen Geschäftszeichen
der Apotheke flatterte wie eine Fahne ein Schal aus schwarzem Tüll. Seit es heftig zu regnenbegonnen hatte, waren es die Neugierigen leid geworden, vor dem Haus zu lauern, und die Straße war leer bis auf ein paar Passanten,
die unter aufgespannten Regenschirmen nach Hause hasteten.
Louise war eben dabei, sich von ihrer neu gewonnenen Freundin zu verabschieden, als die Haustür von innen geöffnet wurde und
ein kleiner verwachsener Mann mit einem rostbraunen Haarschopf erschien. Auf seinen Ebenholzstock gestützt, hinkte er eilig
auf die beiden Frauen zu.
»Liebe Frau Paquin«, rief er. »Sie sind wieder da! Wir waren alle schon um Sie besorgt. Wir haben mächtig Krach geschlagen,
als die Kerle Sie wegschleppten, aber bringen Sie einmal einen deutschen Staatsbeamten von seinem vorgezeichneten Weg ab.
Nun kommen Sie schnell herein, ich habe Ihnen etwas Wichtiges zu erzählen.«
Er machte auf den Fersen kehrt, erstaunlich hurtig trotz seiner Behinderung, und humpelte ins Haus. Die beiden Frauen folgten
ihm in die überdimensionierte Halle, in der nur die Ampeln an ihren langen Ketten
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