Die Frau des Apothekers - Sandmann, C: Frau des Apothekers
leuchteten. Es hätte die pompösen Trauerdekorationen
nicht gebraucht, um das Löwenhaus in die Melancholie einer Leichenhalle zu hüllen. Alles erschien als Schwarz und Grau und
bestenfalls ein wenig Gold, wo eine Lampe brannte. Ein schwacher trübsinniger Geruch nach Essiglauge, Schnittblumen und Weihrauch
durchdrang das Haus.
Dr. Thurner eilte ihnen voraus in den großen Salon, der als einer der wenigen Räume im Erdgeschoss beheizt wurde. Über die Schulter
zurück verkündete er: »Ich habe etwas herausgefunden, das Sie von diesem lächerlichen Verdacht befreien könnte. Nehmen Sie
Platz.«
Er drehte das Gas höher, sodass ein warmes Licht sich überden Raum breitete, kniff die Augen zusammen und musterte Amy, deren Anwesenheit ihm jetzt erst aufzufallen schien.
»Lady Harrington, wenn ich nicht irre? Was machen Sie denn hier?«
»Ich bin hier als Vertreterin des Rechtsschutzvereines für Frauen. Was ist es, was Sie vorhin erwähnten, Doktor? Was haben
Sie herausgefunden?« Ohne eine Einladung abzuwarten, warf sie mit lässiger Gebärde Hut und Mantel aufs Sofa und ließ sich
in einen der samtbezogenen Sessel fallen.
Louise, die sich immer noch zittrig fühlte, raffte ihr Kleid zusammen und kuschelte sich in einen Sessel nahe am Feuer.
Dr. Thurner setzte sich und streckte ächzend die Beine aus. Ehe er seine wichtige Nachricht bekanntgab, erzählte er ihnen – wohl
um von seiner kläglichen Fehldiagnose abzulenken –, wie die drei Männer im Haus versucht hatten, Louise aus dem Untersuchungsgefängnis zu holen.
Emil von Pritz-Toggenau, Frederick und Dr. Thurner waren in ihrem Vorhaben letztlich gescheitert: Um ein Haar wären sie wegen Beleidigung der Staatsgewalt festgenommen
worden und konnten schließlich froh sein, dass sie nur aus dem Revier hinausgeworfen wurden.
Louise lächelte matt. »Oh, Doktor. Das war sehr tapfer von Ihnen … Ihnen allen. Ich danke Ihnen.«
Sie war ihm und Emil dankbar, aber so richtig warm ums Herz wurde ihr bei dem Gedanken, dass auch der Privatsekretär zu den
drei Rittern gezählt hatte. Seltsam, dass sie jetzt an ihn dachte, obwohl sie ihn früher immer nur als Raouls Schatten gesehen
hatte.
Amy fiel ungeduldig ein: »Aber jetzt heraus damit: Was gibt es so Wichtiges zu erzählen?«
Auch Louise blickte ihn erwartungsvoll an.
Dr. Thurner stieß dramatisch mit seinem Gehstock auf den Boden. »Nun, ganz kurz gefasst: Ich habe mich kundig gemacht, wie es
zu einer zufälligen Vergiftung kommen kann, und dabei eine beträchtliche Menge von Möglichkeiten gefunden. Vor allem aber
wird Saturnismus durch den Genuss von mit Bleizucker verfälschten Weinen hervorgerufen!«
Er wandte sich an Lady Harrington, um sie auch an seiner Erkenntnis teilhaben zu lassen. »Herr Paquin war ein Liebhaber von
Likören und süßen Weinen. Vor etwa einem Jahr erwarb er bei einer Auktion ein Kontingent Flaschen, an die fünfhundert Stück,
von einem spanischen Dessert-Wein. Ich habe vergessen, welche Sorte es war, Malaga, glaube ich. Der war nur für ihn allein
bestimmt, er ließ niemand anderen mittrinken.«
Louise schüttelte sich. »Ich glaube, es hätte auch niemand davon trinken wollen, so muffig süß roch das Zeug. Pfui Teufel!
Ich hasse diese Zuckerwässer, die einem nur den Magen verkleben.«
»Seien Sie froh!«, antwortete der Arzt ernst. »Es ist nämlich durchaus möglich, dass es sich bei diesem Kontingent um einen
mit Bleizucker gepanschten Wein handelt und Raouls Krankheit dadurch hervorgerufen wurde. Man müsste es nachprüfen lassen.«
Amy sprang auf wie ein Jagdhund, der eine Spur witterte. »Ausgezeichnet! Das wollen wir auf der Stelle tun! Wo ist euer Weinkeller,
Louise? Ich werde Dr. Taffert ein halbes Dutzend von diesen Flaschen schicken, er wird sie durch ein gerichtlich approbiertes Laboratorium untersuchen
lassen. Wenn sie tatsächlich verseucht sind, wird kaum noch jemand zu behaupten wagen, Sie hätten Ihrem Mann etwas angetan!«
Auch der Arzt erhob sich, und gemeinsam eilten sie in den hinteren Teil der Halle, wo die Abgänge zu Küche und Keller lagen.
Eine kurze, gemauerte Wendeltreppe führte zur Kellertür. Louise schloss auf. Ein starker Geruch nach Ziegelmauern, Äpfeln
und Sauerkraut drang aus der finsteren Höhle dahinter. Zwei Laternen hingen an einem Haken, und als die beiden Frauen sie
anzündeten, fiel das Licht auf ein Gewölbe von imponierenden Ausmaßen. Regale bedeckten die
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