Die Frau des Diplomaten (German Edition)
entscheiden. Beim Blick aus dem Fenster denke ich wieder an die Demonstranten, wie sie die tschechische Nationalhymne sangen. Und wie Hans erschossen auf dem Boden lag. Ich denke auch an Emma und ihre Kinder, die sich mit dem arrangieren müssen, was aus diesem Land werden wird.
Das ist nicht dein Kampf, ermahnt mich eine innere Stimme. Geh zur Botschaft, flieg mit den anderen nach Hause. Der stellvertretende Minister wird enttäuscht sein, aber Verständnis haben. Simon sowieso, schließlich war er von Anfang an gegen diese Reise. Aber dann regt sich in mir Trotz und Unnachgiebigkeit und verdrängt die Gedanken an Flucht. „Ich muss mich mit Marcelitis treffen. Es geht um mehr als nur um die Tschechoslowakei. Was ich von ihm will und was ich ihm dafür geben werde, könnte für andere Länder entscheidend sein. Nein, Renata. Egal was Sie sagen, ich kann jetzt nicht abreisen.“
Sie sieht mich ungläubig an. „Ihnen ist doch klar, dass Sie später womöglich nicht mehr aus dem Land gelassen werden, oder?“ Ich nicke. „Und dass Ihnen niemand mehr helfen kann, wenn die Botschaft erst einmal geschlossen ist?“
„Ja, das ist mir klar.“
„Sie haben Nerven“, meint sie schnaubend. „Und wenn Sie sich mit Marcelitis getroffen haben, planen Sie dann, auszureisen?“
„Ja, gleich danach.“
„Es gibt noch eine Möglichkeit, die ich nicht ansprechen wollte, weil ich gehofft habe, dass Sie klug genug sind, mit den anderen ins Flugzeug zu steigen. Wenn wir gleich nach Ihrem Treffen aufbrechen, kann ich versuchen, Sie zur Grenze nach Österreich zu bringen und die Grenzschützer zu überreden, Sie aufgrund Ihres Diplomatenpasses einreisen zu lassen. Von dort könnten Sie mit dem Zug nach Wien fahren. Versprechen kann ich nichts, und es wäre ein gefährliches Unterfangen.“
„Wenn es die einzige Hoffnung ist, werde ich es versuchen müssen.“
„Ich wünschte, Sie würden es sich noch einmal überlegen und jetzt mit mir zur Botschaft fahren.“
Ich schüttele den Kopf. „Ich muss mich mit Marcelitis treffen. Heute um Mitternacht an der Karlsbrücke.“
„Wieder allein, nehme ich an?“
„Richtig.“
„Wissen Sie, ich könnte Sie zwingen, dieses Flugzeug zu besteigen“, bemerkt sie. „Ich könnte das Wachpersonal der Botschaft kommen lassen. Oder sogar die Polizei.“
„Ja, ich weiß. Aber ich weiß auch, dass Sie das nicht machen werden, weil Sie verstehen, warum ich so handeln muss.“
„Na gut“, lenkt sie schließlich ein. „Dann werde ich sagen, dass ich hier war, um Sie abzuholen, aber dass Sie nicht auf Ihrem Zimmer waren. Ich werde in der Botschaft erzählen, dass ich Sie nicht finden konnte. Aber gleich nach Ihrem Treffen mit Marcelitis kommen Sie zu mir! Wenn Sie die Brücke verlassen, biegen Sie nach links in die Krizovnická ein und gehen dann bis zur Platnérská, der ersten großen Kreuzung. Dort sehen Sie einen Torbogen. Ich werde mich dort im Schutz der Dunkelheit mit dem Wagen verstecken und auf Sie warten. Bis um halb eins müssen Sie es geschafft haben“, fügt sie hinzu. „Nicht später. Wir benötigen die Zeit, um spätestens bei Morgengrauen die Grenze zu erreichen. Haben Sie verstanden?“
„Dann sollte ich also all meine Sachen mit zu dem Treffen nehmen?“
„Nur den Ausweis und andere wichtige Papiere. Alles andere müssen Sie zurücklassen. Falls die Polizei nach Ihnen sucht, muss es so aussehen, als würden Sie jeden Moment ins Hotel zurückkehren.“
Mir läuft ein Schauer über den Rücken. „Ich verstehe nicht. Warum sollte die Polizei nach mir suchen?“
Renata kommt zu mir und legt mir die Hände auf die Schultern. „Seit heute Abend ist diese Welt eine andere, Marta. Die Kommunisten sind jetzt an der Macht, und der eine oder andere wird anfangen zu reden. Es könnte undichte Stellen in der Botschaft geben, bei der Bewegung, einfach überall. Die Lage ist für jeden von uns extrem gefährlich geworden. Es gibt keine Garantie, dass Sie noch aus dem Land kommen, wenn Sie jetzt bleiben. Ist Ihnen das klar?“
Ich muss schlucken. „J-ja.“
„Aber das ist kein Grund für Sie, es sich noch einmal anders zu überlegen?“ Ich sehe sie schweigend an, ohne eine Regung zu zeigen. „Nun, das hatte ich mir gedacht. Gut, dann machen Sie sich fertig für Ihr Treffen. Ich werde auf Sie warten.“ Sie geht zur Tür und dreht sich ein letztes Mal zu mir um. „Passen Sie gut auf, wenn Sie das Hotel verlassen. Es wimmelt überall von Polizisten.“
„Ich
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