Die Frau des Diplomaten (German Edition)
weiß.“ Mit einer Kopfbewegung deute ich Richtung Fenster.
„Und denken Sie daran, dass ab zehn Uhr eine Ausgangssperre gilt, gegen die Sie verstoßen werden. Sie müssen den Hinterausgang nehmen, damit Sie niemand bemerkt.“ Sie öffnet die Tür und vergewissert sich, dass niemand auf dem Flur ist. „Viel Glück.“ Damit verlässt sie mein Zimmer.
19. KAPITEL
Um Viertel nach elf stehe ich an der Tür und werfe einen letzten prüfenden Blick ins Zimmer. Mein Koffer liegt geöffnet auf dem Bett, das Nachthemd gleich daneben, die Tischlampe auf der Kommode verströmt grelles gelbliches Licht. Jemand, der in meiner Abwesenheit das Zimmer betritt, wird glauben, dass ich jeden Moment zurückkehre. Ich drücke meine Handtasche an mich, in der sich der Umschlag mit dem Brief für Marcelitis befindet, dann öffne ich die Tür. Der Flur ist verwaist, und ich verlasse mein Zimmer, um zur hinteren Treppe zu gelangen.
Als ich in die Gasse hinaustrete und die Tür hinter mir ins Schloss fällt, erinnere ich mich an die Ratten vom Vorabend. Hastig lasse ich die Gasse hinter mir und erreiche die menschenleere Straße. Ich atme tief durch, dann mache ich mich auf den Weg zum Fluss. Während ich durch die Nacht eile, halte ich mich im Schatten der Häuser verborgen und versuche so leise zu gehen, dass meine Schritte auf dem Bürgersteig nicht zu hören sind.
Am späten Nachmittag, als Renata mein Zimmer verließ, begann mein Herz zu rasen. Was hatte ich bloß getan? Die Vorstellung, in diesem Land festzusitzen und nicht mehr nach Hause zu kommen, lähmte mich fast. Es kostete mich Überwindung, Renata gehen zu lassen, viel lieber wäre ich ihr nachgelaufen, um mit dieser letzten Maschine doch noch in die Freiheit zu fliegen. Doch ich riss mich zusammen und hielt mir vor Augen, dass dies vielleicht unsere einzige Chance war, mit Marcelitis zusammenzutreffen. Ich konnte nicht weglaufen, nicht, wenn ich so dicht davor war, meinen Auftrag zu erfüllen. Also zog ich mich an, lief unruhig im Zimmer auf und ab und wartete darauf, dass die Zeit verging. Während ich jetzt durch die Gassen der Altstadt schleiche, muss ich mich fragen, ob das wirklich die richtige Entscheidung gewesen ist.
Endlich erreiche ich den Fluss. Am gegenüberliegenden Ufer thront die Prager Burg, deren Türme in goldenes Licht getaucht sind. Die Karlsbrücke überspannt mit sanftem Schwung den Strom, um die Altstadt mit Malà Stana zu verbinden, die niedrigen Mauern werden vom Mond beschienen.
Ich nähere mich dem Aufgang zur Brücke und muss schaudernd daran denken, wie ich auf der Eisenbahnbrücke von Kraków lag, neben mir der tote Kommandant. Es gab noch eine andere Brücke, halte ich mir vor Augen, eine Brücke, mit der ich schönere Erinnerungen verbinde. Paris. Ich sehe Pont Neuf vor mir, ich denke an die Wärme, die von Pauls Körper ausging, als er mich in seinen Armen hielt. Vom anderen Ufer her höre ich eine Kirchturmglocke Mitternacht schlagen. Ich verdränge die Erinnerungen und suche die menschenleere Brücke ab. Emma hat nicht gesagt, wo genau es zum Treffen kommen soll, und ich fürchte, gesehen zu werden, wenn ich auf die andere Seite gehe. Aber ich kann es mir nicht erlauben, Marcelitis zu verpassen. Ich verlasse den schützenden Schatten und begebe mich auf die Brücke. Die Heiligenstatuen sehen ernst auf mich herab, ihre Silhouetten heben sich in kühlem Weiß vom Nachthimmel ab.
Auf der Mitte angekommen, bemerke ich am anderen Ende der Brücke eine Bewegung. Eine große Gestalt tritt aus der Dunkelheit hervor und kommt mir entgegen. Marcelitis. Ich gehe weiter, mein Herz rast. Unmittelbar bevor ich ihn erreicht habe, bleibe ich stehen. Nach all den Geschichten über ihn hatte ich einen jungen Mann wie Alek oder Jakub erwartet. Aber Marcelitis ist schon älter, und sein kahler Schädel reflektiert das Mondlicht. „Marta?“ Ich nicke. „Ich bin Jan Marcelitis.“ Sein Englisch ist von einem deutlichen Akzent geprägt.
Ich mustere sein bleiches Gesicht und die tiefen Augenschatten um die grauen Augen. „Hat Marek erklärt, weshalb ich hier bin?“
„Ja. Geben Sie mir die Informationen, die Sie für mich haben. Der Dechiffrierer befindet sich in einem sicheren Versteck. Wenn das, was Sie mir zu bieten haben, akzeptabel ist, werde ich Ihnen das Versteck nennen.“ Ich zögere. Der stellvertretende Minister wies mich an, die Informationen nur herauszugeben, wenn Marcelitis mir den Dechiffrierer gibt. Was sagt mir, dass er seinen
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