Die Frau des Diplomaten (German Edition)
Stunden bis zu meiner Begegnung mit Marcelitis. Ich wage es nicht, einen weiteren Spaziergang zu unternehmen, da ich fürchte, dass ich in eine ähnliche Situation wie am Morgen geraten könnte und dann nicht so glimpflich davonkomme. Außerdem sagte Renata, dass sie nachmittags vorbeikommen würde, um nach mir zu sehen. Ich möchte hier sein, wenn sie kommt.
Mein Magen knurrt, und ich hole das zweite Hefeteilchen aus der Tasche. Während ich esse, lasse ich mir alles durch den Kopf gehen, was ich heute erfahren habe. Emma ist hier, sie ist mit Marek verheiratet. Und Jakub ist tot. Diese Tatsache trifft mich am schwersten, und ich fühle wieder einen Stich in meinem Herzen. Ich denke daran, wie ich Jakub das letzte Mal sah, als er mit entschlossener Miene die Bombe in das Café brachte. Er bestand darauf, den Sprengsatz selbst zu deponieren, weil er keinem anderen zutraute, es so zu machen, wie es gemacht werden musste. Er sprach davon, dass es wichtiger wäre, dass Alek und Marek überlebten, damit sie die Gruppe weiter führen könnten. Aber die Bombe ging zu früh los, und die Druckwelle schleuderte Jakub durch die Schaufensterscheibe. Alek kam aus seinem Versteck hervor, um den reglosen Jakub wegzubringen, bevor man ihn festnehmen konnte. Irgendwie hat er seine schweren Verletzungen überlebt, nur um wenige Monate später in den Bergen zu sterben. Nun, wenigstens war er am Ende wieder mit Emma vereint.
Ich nehme den letzten Bissen in den Mund und klopfe die Krümel von meiner Bluse. Dann lasse ich mich auf das Kissen sinken und schließe die Augen. Außer einem Nickerchen kann ich ohnehin nicht viel tun. Ich stelle mir vor, ich bin zu Hause und lese Rachel eine Gutenachtgeschichte vor.
Ein lauter Knall reißt mich aus dem Schlaf, und als ich gleich darauf das nächste laute Geräusch höre, sitze ich kerzengerade im Bett. Hastig stehe ich auf und laufe zum Fenster, teile die Vorhänge einen Spaltbreit und schaue durch die Gardinen nach unten. Zuerst kann ich nichts sehen, aber als ich die Stirn gegen die Scheibe drücke, entdecke ich eine Gruppe von Leuten, die sich auf dem Fußweg vor dem Hotel versammelt hat. Wieder Demonstranten? Zwar kann ich nicht verstehen, was sie rufen, aber ihre Stimmen sind laut und wütend. Glas wird zerschlagen, und in der Ferne höre ich Polizeisirenen, die sich rasch nähern. Lauft, möchte ich nach unten rufen. Lauft, bevor es zu spät ist.
Nur widerstrebend lasse ich den Vorhang zufallen, aber ich weiß, dass ich es mir nicht leisten kann, mich in diese Auseinandersetzung hineinziehen zu lassen. Ich sehe zur Uhr auf der Kommode. Viertel nach fünf. Mir war nicht bewusst, dass ich so lange geschlafen habe. Um diese Zeit wollte Renata eigentlich herkommen. Ich lasse mich wieder auf das Bett sinken und starre an die Decke.
Emma kam mir bei unserem Wiedersehen so viel älter vor. Welchen Eindruck habe ich wohl auf sie gemacht? Neben ihr habe ich mich früher immer tölpelhaft und kindisch gefühlt, und nun will ich von ihr genauso reif und erwachsen gesehen werden. Es schien sie zu überraschen, dass ich verheiratet bin und eine Tochter habe. In ihren Augen werde ich wohl immer ein Kind bleiben. Vielleicht hätte ich ihr von Paul erzählen sollen.
Paul. Sein Gesicht taucht vor meinem inneren Auge auf und lässt mich erschauern. Seit meiner Heirat mit Simon habe ich nur noch selten an ihn gedacht. Natürlich erwacht die Erinnerung an ihn von Zeit zu Zeit, etwa an seinem Todestag, oder wenn ich in einer Illustrierten ein Foto von Paris sehe, oder wenn der Regen aufs Hausdach trommelt und ich an die Nacht in der Hütte denken muss. Meistens sind es aber nur verschwommene Erinnerungen, die wie ein unscharfes Foto oder ein halb vergessener Traum sind. Doch jetzt sehe ich Pauls Gesicht so klar und deutlich vor mir, als könnte ich die Hände ausstrecken und ihn berühren. Mir wird bleischwer ums Herz.
Das reicht! Ich schüttele den Kopf, um dieses Bild loszuwerden. Ich darf nicht so an ihn denken – erst recht nicht jetzt und nicht hier. Was ist nur los mit mir? Das muss die Belastung sein, die dieser Auftrag mit sich bringt. All die Dinge, die ich in so kurzer Zeit erfahren habe. Ich reibe mir die Augen. Es ist besser, dass ich Emma nicht von Paul erzählt habe. Wir beide sind nicht mehr die Freundinnen, die wir einst waren. Und manche Geheimnisse sollten besser im Verborgenen bleiben.
Lautes Klopfen lässt mich hochfahren. Jemand klopft energisch an die Tür. Renata. „Einen
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