Die Frau des Diplomaten (German Edition)
flirten.“ Er macht eine missbilligende Miene. „Auf diese Weise sind die Leute abgelenkt, während du zu den Zellen gehst.“ Er will mir widersprechen, doch ich rede einfach weiter. „Komm schon, ich habe recht, und das weißt du. Du brauchst meine Hilfe.“
„Ich weiß nicht …“, gibt Paul zurück. „Was, wenn etwas schiefgeht?“
„Dann bin ich nur eine Frau, die mit einem Anliegen auf die Wache gekommen ist. Ich kann ohne Weiteres wieder gehen. Aber es würde viel ausmachen, was deine Chancen angeht, zu Marcelitis vorzudringen.“
Ich sehe Paul an, wie er angestrengt nach einem weiteren Gegenargument sucht. „Okay“, lenkt er schließlich ein. „Aber beim ersten Anzeichen, dass es Ärger geben könnte, verschwindest du sofort und gehst zur …“ Er bricht ab, da er den Satz nicht zu Ende führen kann. Ich weiß, er möchte mir sagen, dass ich mich zur Botschaft begeben soll. Aber wir befinden uns hier auf sowjetischem Gebiet, wir sind ganz auf uns allein gestellt. Hier gibt es keine sichere Zuflucht. „Sieh einfach zu, dass du irgendwie rauskommst, okay?“
„Okay. Wann werden wir beginnen?“
Ich folge seinem Blick zu der Uhr über der Theke. Es ist fast neun. „Bald, würde ich sagen. Die Nachtschicht beginnt vermutlich um zehn, danach werden sie hoffentlich nur noch in Minimalbesetzung arbeiten.“
Eine Stunde später stehen wir in einem Hauseingang nahe der Polizeiwache, einem schmucklosen Bau, der nicht viel größer ist als der Lebensmittelladen an einer beliebigen Ecke. „Da, jetzt ist Schichtwechsel“, raunt Paul und deutet auf drei Polizisten, die aus dem Gebäude kommen. Sie entfernen sich von uns, ihre Stimmen werden allmählich leiser. „Du gehst vorne rein“, weist er mich an. „Da sollte jetzt nur eine Wachperson sein. Rede langsam und umständlich. Ich gehe hinten rum und versuche, die Arrestzelle ausfindig zu machen. Vermutlich ist die im Keller.“
„Und wenn die Hintertür verschlossen ist?“
„Ich komme schon rein“, versichert er mir. „Es gibt immer einen Weg.“
Das lässt mich kurz überlegen, welche Art von Aufträgen er wohl üblicherweise ausführt, seit er für den Geheimdienst tätig ist. „Wie viel Zeit soll ich schinden?“
„Mindestens fünfzehn Minuten, zwanzig wären ideal. Es sei denn, Marcelitis ist gar nicht hier, dann bin ich schnell wieder da.“
Bei seinen Worten schaudert mir. „Du glaubst doch nicht …“
„… dass sie ihn hergebracht haben, um ihn an Ort und Stelle zu erschießen?“ Er schüttelt den Kopf. „Das ist mehr als unwahrscheinlich.“ Ich will den Hauseingang verlassen, aber Paul hält mich zurück. „Marta, warte.“ Ich drehe mich zu ihm um und sehe, dass er mich forschend betrachtet. Einen Moment lang stelle ich mir die Frage, ob er versuchen wird, mich zu küssen. „Ich wollte dir nur sagen … für den Fall, dass etwas nicht nach Plan läuft …“ Weiter kommt er nicht.
Ich muss mich davon abhalten, seine Wange zu berühren. „Bringen wir’s hinter uns.“
Er nickt. „Pass auf dich auf.“
Eilig überquere ich die Straße, dann bleibe ich am Eingang zur Wache stehen und schaue über die Schulter. Paul ist bereits verschwunden. Ich atme tief durch und öffne die Tür. Drinnen stehen zwei Schreibtische, an dem rechten sitzt ein stämmiger Mann und liest Zeitung. „Ja?“, fragt er, ohne aufzusehen.
„G-guten Abend“, stammele ich.
Beim Klang meiner Stimme hebt er den Kopf, betrachtet mich von oben bis unten, sein Desinteresse ist verflogen. „Guten Abend, Fräulein. Was kann ich für Sie tun?“
Ich zeige mich so aufgewühlt, wie ich nur kann. „Ich wollte meine Tante besuchen, da ist mir aufgefallen, dass mein Ausweis fort ist.“
„Wollen Sie sagen, Sie haben ihn verloren? Oder wurde er gestohlen?“
„Gestohlen, glaube ich. Mein Geld ist auch weg.“
„Dann müssen Sie ein Formular ausfüllen“, sagt er, greift in eine Schublade und legt mir ein Blatt hin.
Ich nähere mich betont langsam dem Schreibtisch, um möglichst viel Zeit herauszuholen. „Ich bin Lola“, beginne ich mit leiser Stimme und setze mich hin. „Wie heißen Sie?“
„Schobel.“
„Nein, ich meine Ihren Vornamen“, gebe ich zurück.
Als er stutzt, bekomme ich einen Schreck und fürchte, ich könnte zu weit gegangen sein. „Joseph“, antwortet er dann aber und lächelt.
„Aha, Joseph“, wiederhole ich. „Könnten Sie mir bitte auch einen Stift geben?“ Als er mir den Stift gibt, sorge ich dafür, dass
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