Die Frau des Diplomaten (German Edition)
Kopf. „Nein, aber ich würde mir an deiner Stelle keine Sorgen machen. Selbst wenn er in der Nacht nach London gekommen ist, wird er zu gut erzogen sein, als dass er wildfremde Menschen aus dem Schlaf reißt.“
So wie ich es gemacht habe, denke ich. Aber ich weiß, dass ihre Worte nicht gegen mich gerichtet sind. „Vermutlich hast du recht.“
„Die Botschaft öffnet um neun Uhr. Wir werden pünktlich vor der Tür stehen. Und jetzt iss erst einmal etwas.“ Ich will erwidern, dass ich immer noch keinen Hunger habe und dass mein Magen wehtut. Aber ich möchte auch nicht undankbar erscheinen. Widerstrebend setze ich mich und nehme einen Toast. Während Delia mir eine Tasse Tee einschenkt, beiße ich ein kleines Stück ab.
Im Flur sind Schritte zu hören, dann taucht Charles mit einer Einkaufstasche in der Tür auf. „Guten Morgen, Charles“, begrüßt Delia ihn fröhlich. „Das Frühstück ist wie immer ausgesprochen köstlich.“
Verlegen tritt er von einem Fuß auf den anderen. „Was ist denn?“, fragt sie.
„Mrs. LeMay, wenn ich Sie kurz sprechen dürfte …“
Sie sieht ihn mit fragender Miene an. „Entschuldige mich bitte“, sagt sie dann zu mir und geht in den Flur.
Ich beobachte, wie Charles leise mit ihr redet. Es passt so gar nicht zu ihm, in meiner Gegenwart zu tuscheln. Er zieht eine Zeitung aus der Tasche und zeigt Delia etwas. Unbehagen überkommt mich, ich lege den Toast zurück auf den Teller und stehe auf. „Was ist los?“, frage ich laut.
Charles hält inne, beide sehen sie mich betreten an. „Was ist los?“, wiederhole ich. Mir fällt mein schroffer Ton auf, doch das ist mir jetzt egal. Ich zeige auf die Zeitung. „Was steht da?“
„Marta, meine Liebe.“ Delia kommt auf mich zu. Ich greife um sie herum, und bevor sie mich aufhalten kann, habe ich Charles die Zeitung abgenommen. Die Schlagzeile ist so groß, dass sie fast die halbe Titelseite in Anspruch nimmt. US-Militärmaschine in Ärmelkanal gestürzt: keine Überlebenden.
Mir ist, als hätte man mich heftig geohrfeigt. Atemlos überfliege ich den Artikel. Die Maschine aus Paris habe über dem Ärmelkanal mit technischen Schwierigkeiten zu kämpfen gehabt und sei abstürzt, die gesamte Besatzung kam ums Leben. Panik überkommt mich. Ich fühle, wie Delia mir eine Hand auf die Schulter legt. „Marta, wahrscheinlich ist das nicht seine Einheit.“
„So viele amerikanischen Soldaten sind momentan auf dem Weg nach England“, ergänzt Charles.
Ich antworte nicht, sondern lese weiter. Die Männer gehörten zur Fighting 502nd, einer Einheit, die seit der Landung in der Normandie an jeder größeren Schlacht beteiligt gewesen ist. Ich erinnere mich deutlich, dass Paul seine Einheit so nannte. Kalter Schweiß bricht mir aus. Am Ende des Artikels stoße ich auf eine Liste der Soldaten, die bei dem Absturz ums Leben kamen. Paul ist nicht auf der Liste zu entdecken. Vielleicht war er ja nicht mit seiner Einheit unterwegs, sondern wurde frühzeitig entlassen? „Er steht nicht auf der Liste“, flüstere ich erleichtert.
Erst dann fällt mir unter den Namen ein Sternchen auf, gefolgt von den Worten „nicht identifizierter Soldat“. Unwillkürlich fasse ich an die Kette mit seinen Erkennungsmarken. Paul hatte mir versprochen, sich neue zu besorgen.
Das ist ein Irrtum. Das muss ein Irrtum sein. Die Seitenmitte wird von einem unscharfen Foto beherrscht, das die Einheit vor einem Panzer stehend zeigt. Ich sehe mir die Männer genauer an, die sich wegen der identischen Frisuren alle so ähnlich sehen. Mein Blick bleibt an einem vertrauten Gesicht ganz unten rechts hängen. Paul starrt mich an, und in diesem Moment weiß ich, warum er unsere Verabredung nicht eingehalten hat.
Mir fällt die Zeitung aus der Hand. „Er ist tot“, sage ich tonlos, dann folgt ein Schrei, der zwar aus meinem Mund kommt, der sich aber wie der einer anderen Frau anhört. Plötzlich verschwindet der Boden unter meinen Füßen, und mir wird schwarz vor Augen.
12. KAPITEL
Ich stehe vor der Anzeigentafel von Kings Cross Station und sehe auf die Bahnsteige. Heller Sonnenschein fällt durchs Dach. Nervös drücke ich meine Handtasche an mich und warte. Natürlich bin ich wieder zu früh. Aber diesmal habe ich mich von Charles herfahren lassen, und ich habe sein Angebot angenommen, vor dem Bahnhof auf mich zu warten, bis Paul da ist. Es war alles nur ein großer Irrtum, stand in dem Telegramm, das am Morgen abgegeben wurde. Paul hat nur seinen Flug
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