Die Frau des Diplomaten (German Edition)
Aber ich war nie zuvor in Prag, und sobald ich Marcelitis die Nachricht überbracht habe, werde ich mich wieder auf den Heimweg begeben. Wenn alles gut geht, fliege ich morgen schon nach Hause, deshalb habe ich unter Umständen nur noch jetzt die Möglichkeit, mir die Stadt anzusehen.
Am Abend zuvor setzte mich Renata am Hotel ab und bot mir an, mich heute zum Treffen zu fahren.
„Marek sagte, ich soll allein kommen“, betonte ich.
Sie machte eine ungeduldige Geste. „Ich kann Sie bis zum Park fahren und dann irgendwo warten, wo er mich nicht sieht.“
„Das ist sehr nett, aber nicht nötig.“
Renata sah mich überrascht an. „Ist das Ihr Ernst?“
Ich nickte. „Allein heißt allein. Ich will nicht das Risiko eingehen, dass er mich mit jemandem zusammen sieht.“
„Aber der Park liegt am Stadtrand.“
„Ich weiß immer noch, wie man mit einem Bus ans Ziel kommt.“
„Wie Sie wollen“, erwiderte sie mit einem Schulterzucken. „Nehmen Sie die Haltestelle an der Ecke hinter dem Hotel. Der Park ist die vorletzte Station.“
„Danke. Fährt dieser Bus auch durch Malà Stana?“
„Nein, das wäre die andere Linie …“ Sie stutzte. „Warum fragen Sie? Wohin wollen Sie?“
„Nirgendwohin“, antwortete ich hastig. „Na ja, ich wollte vor dem Treffen noch einen Spaziergang durch die Altstadt machen. Das ist vielleicht meine einzige Gelegenheit, mir Prag anzusehen.“
„Das gefällt mir gar nicht, Marta. Bei all diesen Unruhen ist es ziemlich gefährlich in der Stadt.“
„Ich werde schon auf mich aufpassen.“
„Das gefällt mir gar nicht“, wiederholte Renata. „Aber ich kann Sie wohl nicht davon abhalten. Achten Sie auf jeden Fall darauf, dass Sie sich auf den belebten Hauptstraßen aufhalten. Und reden Sie mit niemandem.“
Ich rufe mir den Stadtplan ins Gedächtnis, den ich mir am Abend zuvor im Hotel angesehen habe, und biege nach links ab, um in Richtung Altstadtplatz zu gehen. In den Straßen rings um das Hotel herrscht reges Treiben, Lieferanten laden vor den Geschäften ihre Waren ab, Frauen sind mit ihren Einkaufstaschen unterwegs. An der nächsten Ecke verkauft ein Mann auf einem Holzkarren Gebäck. Ich hole einige der Münzen, die Renata mir gegeben hat, aus der Tasche und nehme zwei Hefeteilchen. Ein Teilchen stecke ich für später in meine Tasche, von dem anderen beiße ich ab.
Einen Block weiter biege ich nach rechts ab, bleibe aber nach wenigen Metern stehen. Auf der anderen Straßenseite stehen drei Polizisten und beobachten die Menschen, die hier unterwegs sind. Mein Puls beginnt zu rasen, und ich muss mich zur Ruhe zwingen, indem ich mir sage, dass sie nicht an mir interessiert sind. Ich gehe weiter, wobei ich so tue, als würde ich hierhergehören. Im Vorbeigehen betrachte ich die Männer aus dem Augenwinkel. Haben sie mich bemerkt? An der nächsten Ecke treffe ich auf zwei weitere Polizeibeamte. Vielleicht hatte Renata ja doch recht, als sie mir von diesem Spaziergang abriet. Immer noch zur Seite schauend, rempele ich jemanden an. „Entschuldigung“, sage ich auf Tschechisch und sehe, dass es sich um eine Frau mit einem kleinen Kind handelt, die eben aus einer Bäckerei gekommen ist. Ich bücke mich, um das zu Boden gefallene Päckchen aufzuheben. Als ich es der Frau gebe, weicht sie beharrlich meinem Blick aus, dann entfernt sie sich hastig, während sie immer wieder zu den Polizisten schaut.
Ich sehe der Frau nach, wie sie um die nächste Ecke biegt. Sie hat Angst, so wie wir während des Krieges Angst hatten. Ich erinnere mich noch gut daran, wie die Gestapo einen Mann aus einem Geschäft zerrte, gerade als ich den Marktplatz von Kraków überquerte. Wie ich hörte, war er dabei erwischt worden, wie er Obst stehlen wollte. Die Passanten ringsum eilten sofort in alle Richtungen davon und sahen fort, als die Deutschen den Mann an eine Wand stellten. Ein Schuss hallte über den Platz, und als ich später zurückkam, war die Gestapo längst weg, nur der Mann lag da tot in seinem eigenen Blut, in einer Hand noch immer den Apfel, den er hatte mitnehmen wollen. Die Menschen gingen an ihm vorbei, ohne ihn eines Blickes zu würdigen, weil sie zu viel Angst davor hatten, von dem Kenntnis zu nehmen, was sich gerade abgespielt hatte. So ähnlich ist es auch hier, denke ich. Niemand will die Aufmerksamkeit auf sich lenken, alle haben sie Angst.
Ich gehe weiter, und nach ein paar Minuten mündet die Straße in einen weitläufigen Platz. Große alte Häuser mit kunstvoll
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