Die Frau des Diplomaten (German Edition)
Der Bus hält wieder, die Frauen steigen aus und biegen in einen Feldweg ein. Eine abgemagerte Kuh steht einsam am Zaun und starrt in meine Richtung.
Ich sehe mich kurz um und stelle fest, dass ich inzwischen der einzige Fahrgast bin. „Riegrovy sady“, ruft der Fahrer wenig später, als müsste er sich in einer großen Menschenmenge Gehör verschaffen. Ich gehe zur vorderen Tür, als der Bus langsamer wird. Aus dem Augenwinkel beobachte ich den Fahrer. Fragt er sich, warum ich hier aussteige? Aber er scheint mich kaum zu beachten, als ich den Bus verlasse. Die Türen schließen hinter mir, und er fährt weiter.
Ich bleibe einen Moment lang stehen und betrachte den Park, der sich vor mir erstreckt. Das Gras ist trocken, ein paar hundert Meter rechts von mir sehe ich eine Baumgruppe, gleich dahinter einen Brunnen. Ich ziehe meinen Mantel enger um mich und gehe auf den Brunnen zu. Beim Näherkommen erkenne ich, dass der Brunnen aus einer Vielzahl von Statuen besteht, die kleine Kinder darstellen, die ihre Hände zum Himmel recken. Trockenes Laub hat sich im Becken gesammelt. Wieder sehe ich mich um, doch der Park ist menschenleer. Nur ein paar Krähen haben sich zwischen den Bäumen versammelt und picken auf dem Boden. Wo ist Marek? Er kam mir gestern Abend so nervös vor, dass ich mich unwillkürlich frage, ob er überhaupt kommen wird.
Ich bin früh dran, beruhige ich mich und gehe auf die Baumgruppe zu. Die Krähen beobachten mich aufmerksam, bewegen sich aber noch nicht von der Stelle. Hinter den Bäumen entdecke ich zwei kleine Jungs, die miteinander spielen, und eine Frau, die ihnen von einer Bank aus zusieht.
Ich zögere und betrachte die Frau, die mir den Rücken zugedreht hat. Ich will nicht unnötig auf mich aufmerksam machen, aber vielleicht hat sie Marek gesehen. Langsam nähere ich mich. „Entschuldigen Sie“, sage ich leise, doch vermutlich trägt der Wind meine Worte fort, noch bevor sie sie erreichen. Ich gehe noch ein paar Schritte weiter. Plötzlich erstarre ich mitten in meiner Bewegung, und ich spüre, wie sich mir die Kehle zuschnürt. Das blonde Haar dieser Frau hat etwas sonderbar Vertrautes an sich, das Honigblond und dazu die Art, wie sie es im Nacken zusammengebunden hat. Ich muss an Emma denken, wie ich ihr nachschaute, als sie auf der Brücke davonlief. Nein, das ist völlig unmöglich. Ich strecke die Hand aus und berühre die Frau an der Schulter. „Entschuldigen Sie“, wiederhole ich, diesmal etwas lauter.
Die Frau zuckt zusammen, dann dreht sie sich langsam zu mir um. Als mir ein vertrauter Mandelduft in die Nase steigt, weiß ich, dass ein Irrtum ausgeschlossen ist. Vor mir sitzt Emma.
18. KAPITEL
„Hallo, Marta“, begrüßt sie mich ruhig, steht auf und betrachtet mich auf diese vertraute Weise. Ich starre sie nur an, ich bin nicht in der Lage, auch nur einen Ton herauszubringen. Meine Gedanken überschlagen sich. Emma? Das kann gar nicht sein. Sie macht einen Schritt auf mich zu und küsst mich auf die Wangen, als hätten wir uns eben erst voneinander verabschiedet. „Es ist schön, dich wiederzusehen.“
„Emma?“ Ich greife nach ihrem Ärmel, um mich zu vergewissern, dass sie es tatsächlich ist.
„Ja, ich bin es wirklich.“ Sie nimmt meine Hand und drückt sie sanft.
„Ich … ich verstehe das nicht.“ Noch immer starre ich sie an, da ich einfach nicht anders kann. „Wieso bist du hier?“
„Komm, setzen wir uns.“ Sie zeigt auf die Bank, ich folge ihr benommen und nehme neben ihr Platz. „Ich kann mir vorstellen, dass es dich überrascht, mich wiederzusehen“, sagt sie. „Aber ich lebe jetzt in Prag. Ich helfe bei der politischen Arbeit. So wie wir das damals in Kraków gemacht haben.“
Dann hat sie es also geschafft, mit Jakub aus Polen zu entkommen? Wenn Emma hier ist, wo ist dann Jakub? „Ich sollte mich hier eigentlich mit Marek treffen …“
„Marek hat mich gebeten, das für ihn zu erledigen. Als er davon erzählte, dass du lebst und dass du hier bist, war ich außer mir vor Freude. Es war für ihn zu gefährlich zu kommen, aber er wusste, dass sich niemand etwas dabei denken würde, wenn zwei Frauen auf einer Bank sitzen und ihren Kindern beim Spielen zusehen. Übrigens, das sind meine beiden.“ Emma deutet auf die Jungs. „ Łukasz kennst du.“ Ich nicke. Er ist nicht ihr leiblicher Sohn, sondern der Sohn eines Rabbis, der von den Deutschen verhaftet wurde. „Und das“, sie zeigt auf den kleineren Jungen, der etwa drei Jahre alt
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