Die Frau des Germanen
der nach Augustus’ Tod in einer schattigen Ecke des Atriums errichtet worden war. In ihm
lebten nun seine Papageien, die früher durch die Räume flattern durften, wie es ihnen gefiel. Schon am Tag nach seiner Krönung
hatte Tiberius den Auftrag erteilt, diesen Käfig zu bauen, damit es mit den herumfliegenden Papageien ein Ende hatte. Am liebsten
hätte er ihnen sicherlich die Hälse umdrehen lassen, aber er wagte nicht, das Andenken an Kaiser Augustus, an dem er sich
in Zukunft messen lassen musste, derart zu verunglimpfen.
»Natürlich spricht er von Rache«, gab Severina gleichmütig zurück. »Unser Großvater war viel zu weichherzig, um von Rache
zu reden, und am Ende viel zu verzweifelt über den Verlust der drei Legionen. Tiberius ist anders. Stärker!«
Agrippina wandte sich von dem Papageienkäfig ab, ihre Sklavin sorgte dafür, dass der Saum ihrer Tunika nicht schmutzig wurde,
während sie mit Severina weiterbummelte. Sie waren nicht die Einzigen, die sich im Atrium des kaiserlichen Hauses die Zeit
vertrieben. Viele Senatoren hielten sich hier auf, reiche Bürger Roms, die sich die Nähe zur kaiserlichen Familie erkauft
hatten. Sie unterhielten sich mit anderen reichen Bürgern, mit denen sie Geschäfte machten oder zu machen gedachten. Die Bittsteller,
die in Scharen gekommen waren, seit Tiberius gekrönt worden war, drängten sich im Audienzsaal, den der neue Kaiser eingerichtet
hatte. Nur diejenigen, die sich seine Gäste nennen durften, hielten sich im Atrium auf oder in den Besuchszimmern, von denen
es nun zahlreiche gab. Tiberius hatte Augustus’ Haus das Private genommen, hatte sich entschlossen, sein eigenes Haus vor
den Toren der Stadt, in dem er seit langem lebte, zu behalten und Augustus’ Stadthaus lediglich als Amtssitz zu benutzen.
Das Schlafzimmer hatte er zu dem Raum |307| gemacht, in dem er über politische Entscheidungen nachdenken wollte, dort würde er sich mit Senatoren beraten und ihnen seine
Entschlüsse mitteilen. Der riesige Diwan war so aufgestellt worden, dass die Wirkung des Bodenmosaiks nicht beeinträchtigt
wurde. Wer den Raum betrat, betrachtete zunächst unwillkürlich das herrliche Mosaik, so dass Tiberius Zeit hatte, sich ein
Bild von seinem Besucher zu machen, ehe der vor ihm auf die Knie sank. Severina war beeindruckt, als ihr aufging, welch geschickter
Schachzug das war.
»Es tut mir weh«, fuhr Agrippina fort, »dass ausgerechnet Germanicus die Rache des neuen Kaisers stillen soll.«
Sie hatte seinen Namen noch kein einziges Mal ausgesprochen, redete nur von dem neuen Kaiser, obwohl Tiberius einmal mit ihrer
Mutter Julia verheiratet gewesen war. Auch deren Namen nannte Agrippina nie, zu sehr schämte sie sich dafür, dass ihre Mutter
Opfer ihres unsittlichen Lebenswandels geworden war.
»Der neue Kaiser weiß selbst am besten«, fuhr Agrippina fort, »dass den Germanen im eigenen Lande nicht beizukommen ist. Hat
er selbst mit seinen Rachefeldzügen Erfolg gehabt? Nein!«
»Anscheinend traut er Germanicus mehr zu«, gab Severina zurück. »Du solltest stolz auf deinen Gemahl sein.«
»Ich sorge mich um ihn«, antwortete Agrippina heftig. »Ich habe Angst, dass er dasselbe Schicksal erleidet wie Varus.«
Severina gähnte. »Er wird sich auf keine List einlassen.«
»Das nicht! Aber wenn Arminius sich ihm entgegenstellt, dann wird er das dort tun, wo das Land der Barbaren besonders unwegsam
ist. Die Wälder dort sind dichter als woanders, die Sümpfe sind gefährlicher, die Moore tückischer. Es wimmelt dort nur so
von Gefahren! Dieses Land muss scheußlich sein. Anscheinend regnet es dort ständig, und es ist immer kalt und finster.«
Severina betrachtete ihre Schwägerin erstaunt, die sich in heftige Erregung geredet hatte. Sie gab Gaviana einen Wink, damit
sie Agrippina einen Tee zur Beruhigung brachte, und sorgte dafür, dass ihre Schwägerin sich auf eine steinerne Bank setzte, |308| weil ihren Sklavinnen kaum Zeit blieb, die Schleppe ihrer Tunika immer wieder zu ordnen. Wenn sich Agrippina weiterhin so
aufregte, würden ihre Füße sich noch im Saum ihrer Tunika verfangen und sie womöglich zu Fall bringen.
»Die Germanen werden immer im Vorteil sein«, stieß Agrippina hervor, »weil sie als Einzige ihr Land kennen. Das weiß der neue
Kaiser genau! Er hat es ja selbst nicht geschafft, Germanien zurückzuerobern.«
Severina wollte sich ihrer Erregung auf keinen Fall anschließend. Ihr lag nichts
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